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Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik

Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik

Titel: Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Carreras
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hat.
    Ich hatte das außerordentliche Glück, dass man bei mir nach einer dreiwöchigen Behandlung in Barcelona eine Remission erreichte. Da nach Auskunft Professor Rozmans das Knochenmark keines meiner Geschwister oder anderer Blutsverwandten mit dem meinen kompatibel war, kamen weder meine beiden älteren Geschwister Albert und María Antònia noch mein jüngerer Bruder Jordi oder mein Vater als Spender infrage. Die größte Übereinstimmung habe sich bei meinem Sohn Albert mit fünfundsiebzig
Prozent gefunden, doch genüge das nicht, um eine Abstoßungsreaktion auszuschließen. Daher empfahl er mir eine autologe Transplantation. Inzwischen, zwanzig Jahre später, haben die Wissenschaftler mit diesem Verfahren weitere Erfahrungen gesammelt und es deutlich verbessert, doch damals, im Jahre 1987, wurden im Hospital Clínico von Barcelona nur äußerst wenige autologe Transplantationen durchgeführt.
    Dr. Rozman hatte sich zur gleichen Zeit wie ein anderer katalanischer Arzt namens Alberto Grañena an einem Krankenhaus in Seattle aufgehalten, an dem der Forscher Edward Donnall Thomas tätig war. Da er ein Pionier auf dem Gebiet der Übertragung von Stammzellen aus dem Knochenmark war, hatten sich die beiden Spezialisten des Hospital Clínico dorthin aufgemacht, um das Verfahren an Ort und Stelle besser kennenzulernen. So kam es, dass zwischen den beiden Krankenhäusern eine enge Beziehung bestand und sie sogar ein gemeinsames Programm entwickelten. Vor diesem Hintergrund riet mir Rozman, mich im Fred Hutchinson Cancer Research Hospital von Seattle weiterbehandeln zu lassen. Dafür sprächen zwei Gründe: Erstens sei es mir auf diese Weise möglich, dem enormen Druck durch die Medien auszuweichen, der in Barcelona auf mir lastete, und zweitens, wichtiger noch, in den Vereinigten Staaten sei die Verwendung eines neuen Medikaments möglich, des sogenannten GM-CSF, das eine aktivierende Wirkung auf ausdifferenzierte Granulozyten und Makrophagen habe, kurz, es rege Zellen nach der Transplantation an, was Patienten weniger anfällig für Infektionen mache. Nach eingehender Beratung mit meinen Angehörigen beschloss ich, mich der von ihm empfohlenen Behandlung in Seattle zu unterziehen. Ich kannte diese Stadt im Staat Washington bereits, da ich Ende der Siebzigerjahre dort bei einem Solokonzert aufgetreten war. In Seattle ist Wagner so beliebt, dass dort jeden Sommer ein ihm gewidmetes Festival stattfindet, bei dem Der Ring des Nibelungen auf Deutsch und Englisch aufgeführt wird. So gesehen konnte man die Stadt durchaus mit Barcelona vergleichen, auch wenn sie nicht das beste Klima der
Welt besitzt. Zwar schneit es in Seattle nur gelegentlich, aber die Luftfeuchtigkeit ist doch stets sehr hoch, und es regnet sicher an rund zweihundert Tagen im Jahr. Die Menschen dort sagen, man könne den Sommeranfang daran erkennen, dass der Regen wärmer ist als sonst.

    Die ersten Tage im Hospital Clínico waren für Carreras besonders schwierig, weil er sich auf nichts konzentrieren konnte. In Nietzsches Morgenröte . Gedanken über die moralischen Vorurteile heißt es: »Die Phantasie des Kranken beruhigen, dass er wenigstens nicht, wie bisher, mehr von seinen Gedanken über die Krankheit zu leiden hat, als von der Krankheit selbst …« Der Tenor hatte keine Angst vor dem Tod, wohl aber vor der Ungewissheit und auf jeden Fall vor unnötigem Leiden. All das trug dazu bei, dass er sich mit nichts beschäftigen konnte, das ihn ablenkte, weder mit Lektüre noch mit Fernsehen, obwohl ihm zahlreiche Bücher und Videokassetten zur Verfügung standen, die ihm seine Angehörigen gebracht hatten. Nicht einmal die Musik war ihm in jener Situation eine Verbündete, und die Kassetten stapelten sich auf dem Nachttisch, ohne dass er Lust gehabt hätte, sie anzuhören. Er bediente sich ausschließlich des Telefons – zwar wurden ihm auf ausdrückliche Anweisung hin keine Anrufe durchgestellt, doch gab es ihm die Möglichkeit, von sich aus mit Menschen Verbindung aufzunehmen, mit denen er sprechen wollte.
    Reporter und Fotografen lauerten ihm ständig auf, um ein Foto oder einige Worte zu erhaschen, doch sein Bruder Albert hatte dafür gesorgt, dass niemand Zutritt zu ihm bekam, wozu er eigens Wachleute engagiert hatte. Doch ließ sich nicht verhindern, dass eine Flut von Briefen und Telegrammen aus allen Winkeln der Erde das Krankenzimmer des Sängers erreichte.

    Ich gestehe, dass es mich rührte, all die Bekundungen des Mitgefühls von Verwandten,

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