Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
Freunden, Bekannten, Politikern, Intellektuellen und Künstlern zu bekommen, aber auch von mir völlig unbekannten Menschen, die mich im Opernhaus oder auch nur auf der Schallplatte gehört hatten und mir eine baldige Genesung
wünschten. Hinzu kam eine unendliche Fülle von Aufmerksamkeiten, die mir Kollegen schickten, um mich im Kampf gegen die Krankheit zu bestärken. Die amerikanische Mezzosopranistin Marilyn Horne, die in dieser Zeit am Liceu auftrat, schickte mir das größte Blumengebinde, das ich je im Leben gesehen hatte; es war so üppig, dass ich davon die Schwestern auf der Station eine ganze Woche lang mit Blumen versorgen konnte. Eine andere bedeutende Mezzosopranistin, Grace Bumbry, widmete mir in einem Konzert, das sie in Wien gab, ein Lied, wobei das Publikum stehend applaudierte. Solche Zeichen der Verbundenheit bekam ich Woche für Woche, und sie unterstützten mich im Kampf gegen die Krankheit. Ich fühlte mich wie bei einer Premiere, bei der es darauf ankam, das Publikum nicht zu enttäuschen, das seine Zuneigung schon zeigt, bevor die Musik überhaupt eingesetzt hat.
Die Angehörigen des Sängers waren während der gesamten Dauer der Krankheit seine wichtigste Stütze, vor allem aber in den ersten Tagen. Das galt insbesondere für die Zeit, als achtundvierzig Stunden nach seinem Eintreffen im Krankenhaus von Barcelona am 20. Juli die Chemotherapie begann.
Nach der ersten Sitzung fühlte ich mich ausgesprochen übel. Ich musste erbrechen, litt an Koliken und Schwindelanfällen. Die Vorstellung, dass man einen Menschen erst »vergiften« muss, damit er geheilt werden kann, ist zutiefst beunruhigend. Bei den folgenden Sitzungen erging es mir nicht besser, doch ich wusste, dass es wichtig war, eine Remission zu erreichen, weil damit die Aussichten auf eine Heilung stiegen. Wenn sich weitere neoplastische Zellen bilden, ist das ein schlechtes Zeichen, und so begleiteten Punktionen und die Analyse der Punktate die Behandlung, um eine durchgehende Kontrolle zu gewährleisten. Es war ein wahres Martyrium, doch immerhin bekam ich zum Ende des ersten Zyklus die gute Nachricht, es seien keine neuen Krebszellen aufgetreten. Als ich am
12. August dieses Ergebnis erfuhr, hatte ich das Gefühl, die erste Schlacht gegen die Leukämie gewonnen zu haben, doch der Krieg war damit noch lange nicht zu Ende.
Zehn Tage nach seinem Eintreffen im Krankenhaus von Barcelona spürte Carreras eine Besserung, die ihm Mut machte. Man konnte ihn sogar für einen kleinen Eingriff am Kiefer ins Hospital Quirón bringen, damit der Zahn behandelt werden konnte, der die Infektion in Paris ausgelöst hatte. Auch wenn das an und für sich keine große Sache war, bestand in diesem Fall wegen der durch die Chemotherapie geschwächten Immunabwehr die Gefahr zahlreicher Komplikationen. Doch alles ging gut, und Carreras konnte sogar einige Tage im eigenen Haus verbringen, was ihm neue Kraft gab.
An diesen Tagen beschäftigte ich mich weiterhin mit meiner Krankheit und den Möglichkeiten, sie zu heilen. Leider gab es damals noch kein Internet, das Zugang zu den abgelegensten Informationen ermöglicht. Meiner Ansicht nach war ich es mir selbst schuldig, genau in Erfahrung zu bringen, womit ich es zu tun hatte und was im Verlauf des Verfahrens, dem ich mich unterzog, geschehen konnte. Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass mich das Unbekannte nicht beunruhigt hätte, all das, was passieren konnte. Dennoch versuchte ich mir vorzustellen, wie es hinterher sein würde, wenn ich eines Tages geheilt sein, auf die Bühne zurückkehren, mich der Gesellschaft meiner Lieben erfreuen und dem Leben so viel wie möglich abgewinnen würde. Die Presse hat nicht immer dazu beigetragen, meine Situation zu erleichtern, denn ich las in den Zeitungen widersprüchliche Meldungen, die dann Blätter in anderen Ländern Europas übernahmen und ihrerseits beunruhigende Artikel in die Welt setzten. Damit will ich nicht sagen, dass ich mich schlecht behandelt fühlte, aber in meiner Lage verstärkten bestimmte Äußerungen die Beklemmung, die ich ohnehin empfand. Im Allgemeinen sind die Zeitungen respekt- und rücksichtsvoll mit mir umgegangen, und als bekannt wurde, dass die
Ärzte für mich einen Knochenmarkspender suchten, haben zahlreiche Menschen dem Krankenhaus uneigennützig ihre Bereitschaft dazu erklärt.
Sein Bruder Albert brachte Carreras am 24. August im Auto zu einem neuen Chemotherapiezyklus in die Klinik zurück. Die Ärzte teilten
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