Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
gebe in Barcelona in Gestalt von Professor Ciril Rozman eine Kapazität auf dem Gebiet der Leukämiebehandlung. Außerdem hatte er darauf hingewiesen, es könne nur gut sein, dass er sich in seiner Heimatstadt und in der Nähe seiner Verwandten befinde, weil ihn das in seinem Durchhaltewillen bestärken werde. Sicherlich hat das Bewusstsein, sich sozusagen zu Hause zu befinden, dazu beigetragen, dass sich Carreras zum ersten Mal seit der Diagnose ein wenig besser fühlte.
Da ihn die Krankheit bereits sehr geschwächt hatte, war, wie sich bei seiner Einlieferung ins Krankenhaus von Barcelona zeigte, eine Lungenentzündung hinzugekommen, die ihn um ein Haar das Leben gekostet hätte. Im Lauf von lediglich zwei Wochen hatte er die ganze Bandbreite der Gefühle durchmessen: von seiner Begeisterung darüber, erstmals in einem Kinofilm auftreten zu können, auf den absoluten Tiefpunkt durch die lebensbedrohende Krankheit. Ganz wie Alvaro, den er in Die Macht des Schicksals verkörpert hatte, war es ihm nicht vergönnt, Herr seines Lebens
zu sein, stattdessen wurde er von unbeherrschbaren Umständen umhergeworfen, die ihn auf einem der Höhepunkte seiner Laufbahn hart trafen.
Am 5. Juli 1987 hatte ich noch in San Sebastián gesungen und war bereits am nächsten Tag in Paris, um unter dem Regisseur Luigi Comencini La Bohème zu drehen. Als er mir einige Monate zuvor angeboten hatte, an diesem Film mitzuwirken, war mir sofort klar gewesen, dass ich mir diese Gelegenheit auf keinen Fall entgehen lassen durfte, nachdem ich fünf Jahre zuvor bei Franco Zeffirellis La Traviata leer ausgegangen war. Ich hatte unter ihm an der Metropolitan Opera in New York gesungen und hätte liebend gern mit diesem Regisseur meinen ersten Film gedreht. Dabei gab es allerdings eine Schwierigkeit: Ich hatte einen Vertrag mit der Pariser Opéra Garnier unterzeichnet, und deren Leiter, ein ebenso sympathischer wie unnachgiebiger Franzose, hatte es rundheraus abgeschlagen, auf meine Mitwirkung zu verzichten, sodass ich für den Film nicht zur Verfügung stand. Angesichts dieser Situation hatte sich Zeffirelli schließlich entschieden, Plácido Domingo zu verpflichten. Damit hatte ich mich abfinden müssen, was mir auch nicht so ganz unrecht war, weil ich ehrlich gesagt ungern freiwillig darauf verzichtet hätte, den Alfredo zu singen. Bei der erneuten Gelegenheit zu einem Film, noch dazu in der Rolle des Rodolfo, war meine Lust noch größer gewesen als beim ersten Mal. Doch die Situation wiederholte sich. Diesmal fielen die Vorstellungen für einen Vertrag, der mich verpflichtete, an der Covent Garden Opera in Turandot zu singen, zeitlich mit den Gesangsaufnahmen für den Film zusammen, die in Paris stattfinden sollten. Ich sagte mir: Sicher wird es dir nicht wieder so gehen wie beim vorigen Mal, doch erneut war die Leitung des Opernhauses nicht bereit, mir entgegenzukommen. Also musste ich mir etwas einfallen lassen, wodurch ich die Möglichkeit hätte zu singen, aber nicht auf der Bühne stehen konnte. Daher beschloss ich, so zu tun, als hätte ich mir ein Bein gebrochen. Ich war überzeugt, dass es den Leuten
in London nicht sonderlich schwerfallen würde, auf mich zu verzichten, denn der Leiter dort war nicht so unerbittlich wie sein Kollege in Paris. Während ich in Bologna mit Kiri Te Kanawa Puccinis Manon Lescaut aufnahm, bot sich die gewünschte Gelegenheit, und ich simulierte einen Sturz. Ein italienischer Arzt stellte mir ein Attest aus, und ich ließ mir einen abnehmbaren Gipsverband anfertigen. Auf diese Weise konnte ich mich meiner Gesangsverpflichtung in London entziehen, war aber nicht daran gehindert, nach Paris zu fliegen, um dort für die Aufnahmen zu singen, denn andernfalls hätte ich später an den Dreharbeiten für die Spielszenen des Films nicht teilnehmen können, für die insgesamt zwei Wochen vorgesehen waren. Sie begannen im Sommer. Ich war im Pariser Hotel Intercontinental abgestiegen, in dessen Nähe gedreht wurde. Trotzdem konnte ich wegen starker Zahnschmerzen, die trotz der von einem Spezialisten verschriebenen Medikamente nicht aufhörten, drei Tage lang – von Mittwoch bis Freitag – so gut wie nicht an den Aufnahmen teilnehmen. Am Abend des dritten Tages flog ich für das Wochenende nach Wien, weil man mich in Paris vorerst nicht mehr brauchte, ohne dass der Ortswechsel meinen Zustand auf die erhoffte Weise gebessert hätte.
Als ich am Sonntag, dem 12. Juli, spätabends nach Paris zurückkehrte, ging es mir so
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