Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
auftraten. Das hatte er sich selbst oft genug bewiesen, und das war auch seinen engeren Freunden bekannt. In seiner Lage gab es keine bessere Medizin als Worte, und das Gespräch, das die beiden Brüder miteinander führten, erwies sich als unentbehrliches Mittel zur Linderung des Schocks. Sie sprachen über persönliche Themen, vertrauten einander Dinge an, über die sie bislang noch nie gesprochen hatten, weil es dazu keinen Grund gegeben hatte.
Beinahe ohne es zu merken, vertauschte ich den Beifall der Opernhäuser mit der Stille eines Krankenzimmers. Natürlich denkt man da: So eine Sauerei! Wieso musste das ausgerechnet mich treffen? Aber es bleibt einem so gut wie keine Zeit, gegen das Schicksal zu
wüten, weil man alle Kräfte aufbieten muss, je früher, desto besser. Darüber hinaus lag in einem Zimmer auf meiner Station ein entzückender Junge von zwei Jahren, der ebenfalls an Leukämie litt. Während ich mit ihm sprach, dachte ich: Wieso zum Teufel jammere ich eigentlich? Immerhin habe ich ein halbes Leben ohne die geringsten gesundheitlichen Probleme hinter mich gebracht und konnte viele Momente auskosten, die dieses Kind womöglich nie erleben wird. In einer solchen Zeit geht einem alles Mögliche durch den Kopf: Man zieht Bilanz und lässt alles Gute und Schlechte an sich vorüberziehen, das einem im Leben widerfahren ist, bis man zu dem Ergebnis kommt, dass es das Beste ist, die Vergangenheit auf sich beruhen zu lassen und sich an die Gegenwart zu klammern, da sie das Einzige ist, was einem bleibt. Die Rückkehr nach Barcelona hat mir in zweierlei Weise gutgetan: Nicht nur hatte ich meine Angehörigen in der Nähe, die bei mir waren und mir Mut zusprachen, ich hatte auch das Glück, dass mit Dr. Ciril Rozman eine der bedeutendsten Kapazitäten auf dem Gebiet der Behandlung der Leukämie an der Spitze der hämatologischen Abteilung stand, ein herausragender Wissenschaftler und außergewöhnlicher Mensch. Er war Schüler der Pathologen Agustín Pedro Pons und Pedro Farreras Valentí und gilt als Vater der Hämatologie in der katalanischen Hauptstadt. Er geht in der Medizin und der Sorge für seine Patienten auf und ist von einer wahrhaft außergewöhnlichen moralischen und beruflichen Integrität. Noch heute dient er mir gleichsam als Spiegel, in dem ich mich häufig betrachte. Das sage ich immer wieder und meine es ganz ernst. Wenn ich gelegentlich in eine Situation gerate, in der man nicht so recht weiß, wie man reagieren soll, frage ich mich: Würdest du das jetzt genauso machen, wenn Professor Rozman hier wäre? Er ist zu einer Bezugsgröße in meinem Leben geworden. Damals, als man mich in Barcelona ins Krankenhaus brachte, hätte ich mir nicht vorstellen können, dass wir einmal gute Freunde sein und er zum guten Geist der Stiftung werden könnte, die meinen Namen trägt und deren Aufgabe der Kampf gegen diese Krankheit ist.
Bei unserem ersten Gespräch hat er mir den Stand der Dinge dargelegt und gesagt, man werde als Erstes versuchen, bei mir eine Remission zu erreichen. Auf meine Frage, was das heiße, hat er mir erklärt, es gehe darum, die Symptome der Krankheit zumindest zeitweise zum Verschwinden zu bringen, indem man die Krebszellen mithilfe einer Chemotherapie abtötet und anschließend versucht, Knochenmark zu übertragen. Das galt damals als geeignetes Verfahren bei dem Versuch, Leukämie zu heilen. Weiterhin hat er mir mitgeteilt, es gebe drei Arten der Knochenmarktransplantation. Bei der allogenen spendet ein Blutsverwandter, in erster Linie Bruder oder Schwester, das Knochenmark, das hundertprozentig mit dem des Empfängers kompatibel sein muss, das heißt, die Stammzellen müssen in allen Gewebemerkmalen miteinander übereinstimmen. Die zweite Möglichkeit sei die autologe Transplantation. Bei ihr werden die Stammzellen des Patienten gesammelt, gereinigt, tiefgefroren und ihm nach einer intensiven Chemotherapie zurückübertragen. Die dritte Art, die damals noch in den Kinderschuhen steckte, war die allogene Transplantation von Stammzellen eines nicht mit dem Empfänger verwandten Spenders. Womöglich, erläuterte er, lebe in Oslo jemand, dessen Blutstammzellen in den Gewebemerkmalen genau mit denen des Empfängers übereinstimmen, sodass man den Versuch wagen könne, mit einer gewissen Aussicht auf Erfolg eine Transplantation vorzunehmen. Doch dazu sei ein Spenderregister erforderlich – eine der Aufgaben, deren Lösung die Carreras-Stiftung in Spanien in Angriff genommen
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