Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
Leidensweg schwach geworden, den ich seit der Entdeckung meiner Leukämie am 16. Juli in Paris gegangen war, und ich gedachte weiterhin stark zu bleiben. Ich wollte keine Sekunde lang an die Möglichkeit denken, dass alles unwiederbringlich verloren war. Doch die Tage vergingen, ohne dass eine gute Nachricht gekommen wäre: Ich befürchtete das Schlimmste. Dann sprachen die Spezialisten eines Tages von einem weniger als ein Jahr zuvor entwickelten Medikament und bezeichneten es als die letzte Hoffnung. Man werde es mir geben, obwohl es sich noch in der Erprobung befinde. Dieses GM-CSF genannte Mittel sei ein Aktivator des Knochenmarks. Es werde die Immunstimulation anregen und dafür sorgen, dass sich gesunde Zellen entwickelten. Ohne zu zögern, stimmte ich der vorgeschlagenen Behandlung zu. Ich habe nie im Leben an Wunder geglaubt, habe aber damals entdeckt, dass bisweilen der Glaube an das Schicksal in Verbindung mit der Naturwissenschaft jemanden wie mich unterstützen kann, der bis dahin auf seinem Krankenlager ohnmächtig die Mitteilung hatte verdauen müssen, dass die Transplantation erfolglos geblieben war.
In diesen Tagen, an denen ich alles auf die Karte GM-CSF setzte, wurden meine Angehörigen für mich wieder einmal zum
Rettungsanker. Angesichts der neuen Wendung, welche die Dinge genommen hatten, kam Dr. Grañena erneut nach Seattle, während mir Dr. Rozman telefonisch Mut zusprach. Es war wie eine Verschwörung mit dem Ziel, mir das Leben zu retten. Das Überraschendste aber war, dass das noch in der Erprobung befindliche Mittel wirkte, und zwar rasch und nachhaltig. Schon wenige Tage nach der ersten Einnahme änderte sich die Lage: Das verpflanzte Knochenmark bildete wieder Blutkörperchen.
Zahlreiche Journalisten reisten während der Wochen, die Carreras in Seattle verbrachte, dorthin, denn seine Erkrankung ging auf allen fünf Kontinenten durch die Medien. Esteban Linés von der Tageszeitung La Vanguardia bezeichnete die Bemühungen der Journalisten, an Nachrichten über den erkrankten Sänger zu kommen, als »herkulische Aufgabe«, denn alle im Krankenhaus hatten strengste Anweisung, niemandem etwas über den Zustand des Patienten zu sagen. Auch seine Angehörigen dachten nicht daran, sich darüber zu äußern, und sein Privatsekretär Fritz Krammer, der ein Zimmer im Hotel Sorrento hatte, suchte ihn lediglich einmal in der Woche auf, um Korrespondenz abzuholen. Albert Montagut von der spanischen Tageszeitung El País hatte offenbar Mittel und Wege gefunden, seinen Lesern Einzelheiten über den Fortschritt der Behandlung und den Gemütszustand des Sängers mitteilen zu können. Er schickte Carreras einen Tischkalender seiner Zeitung für das Jahr 1988 und drückte die Hoffnung aus, dieser könne darin lauter gute Nachrichten notieren. Da er wusste, dass Carreras begeisterter Anhänger des FC Barcelona ist, faxte er ihm in den Monaten, in denen er sich in Seattle aufhielt, Berichte über die Spiele seines Vereins zu, versuchte aber nie, bis zu ihm vorzudringen, weil er wusste, dass Carreras nicht belästigt werden wollte. Linés wie Montagut haben berichtet, die Kollegen von der örtlichen Presse, mit denen sie Verbindung aufgenommen hatten, hätten ihnen erklärt, dass amerikanische Medienvertreter den Wunsch von Kranken, nicht behelligt zu werden, bedingungslos respektieren, zumal dann, wenn es sich um eine schwere Erkrankung handelt.
Ich begriff, dass die Leute wissen wollten, wie es mir ging und ob die Behandlung anschlug. Aber zum Kuckuck, ich selbst wollte das auch wissen, und natürlich verhinderte der von den Journalisten ausgeübte Druck, dass ich so zur Ruhe kam, wie die Ärzte das wünschten. Das Weihnachtsfest war zwar ein gutes Vorzeichen, aber noch stand mir ein weiterer Rückschlag bevor, der mich, als er kam, mit tiefer Sorge erfüllte.
Es hatte so ausgesehen, als ob das neue Jahr denkbar schlecht beginnen würde, doch hatte das zuvor erst an wenigen Patienten erprobte Mittel Wunder gewirkt. Die Heilung schien auf dem besten Weg zu sein.
Tatsache ist, dass mein Lebensmut wieder zunahm, als ich merkte, dass sich mein Allgemeinzustand besserte. Doch gerade, als ich annahm, alle Schwierigkeiten überwunden zu haben, kam es zu einem erneuten kleinen Rückschlag. Drei kleine Speiseröhrenpolypen, eine Folge der vorhergehenden Behandlung, bereiteten mir große Schmerzen und hinderten mich am Schlucken. Ich empfand es als ausgesprochen beängstigend, nicht einmal meinen Speichel
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