Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
weil das Knochenmark keines Blutsverwandten mit dem seinen kompatibel war. Jeder im Krankenhaus hatte ihm bestätigt, dass er äußerst aktiv an seiner Behandlung mitgewirkt habe. Ihm war vom ersten Augenblick an klar gewesen, dass er zwar mit aller Kraft gegen die Krankheit ankämpfen konnte, für den Erfolg aber das Engagement der im Krankenhaus Tätigen unerlässlich war. In London-Heathrow bestiegen sie einen privaten Jet, den ein guter Freund geschickt hatte. Als sie Barcelona erreichten, sah Carreras aus dem Fenster diesmal nicht eine Stadt, die ihn verabschiedete, sondern seine Heimat, die ihn willkommen hieß. Innerlich hörte er Rachmaninows zweites Klavierkonzert.
Ich weiß nicht, wer die Mitteilung von meiner Rückkehr hatte durchsickern lassen, auf jeden Fall erwartete mich, als die Maschine am Samstag, dem 27. Februar 1988, kurz nach zwei Uhr nachmittags am Flughafen von Barcelona landete, zu meiner Überraschung außer meinen Angehörigen und einigen Freunden eine große Menschenmenge. Manche hatten sogar Transparente mitgebracht, auf denen »Willkommen« stand. Als ich schließlich in die Ankunftshalle trat und man mich erkannte, begannen sie zu applaudieren, mich zu umarmen oder mir ermutigende Worte zuzurufen. Zuvor hatte ich noch eine improvisierte Pressekonferenz in einem anderen Raum abhalten müssen, weil auch eine eindrucksvolle Zahl von Medienvertretern zu meinem Empfang gekommen war. Zwar war ich erschöpft, begriff aber, dass die Menschen nach so langem Schweigen wissen wollten, wie es mir ging. Also stellte ich mich vor die Mikrofone und begann, während man eine Unzahl von Fotos machte, von meinen »kleinen Schlachten« zu erzählen. Außer den Ärzten Grañena und Permanyer wollte ich auch den Journalisten danken, weil mich die Medien so rücksichtsvoll behandelt und in verantwortungsbewusster Weise über meine Krankheit berichtet hatten. Auch dankte ich den vielen anderen, die mir ihre Anteilnahme gezeigt hatten. In den belastendsten Augenblicken hatten mir Menschen, die ich zum großen Teil nicht einmal kannte, Mut gemacht und damit geholfen, diese schwierige Zeit zu überstehen. Auch den Ärzten der Klinik von Barcelona und des Hutchinson-Krankenhauses drückte ich meine Dankbarkeit und Anerkennung für die ärztliche wie auch die menschliche Betreuung aus. Ich sagte ihnen, dass ich hoffte, möglichst bald wieder zu singen. Ich konnte es nicht erwarten, meine Stimme zu erproben und wieder auf die Bühne des Liceu, meines Liceu, zu treten. Außerdem sagte ich, es gehe mir gut, und der Zukunft sähe ich voll Zuversicht entgegen. Auch betonte ich, dass ich das Leben jetzt, nachdem ich so manche schwere Augenblicke durchgemacht hatte, mit anderen Augen betrachtete. Und meine Heimkehr sei ein außerordentlicher Erfolg, sicherlich der bedeutendste meiner Karriere.
José Carreras trat mit sehr kurzen Haaren, gesunder Gesichtsfarbe und einem Blick vor die Presse, dem man die Freude am Leben ansah. Zum grauen Anzug trug er eine auffällige gelbe Krawatte mit grünem Blumenmuster. Er scherzte sogar mit den Journalisten und erklärte, ihm gehe es blendend, und die Ärzte würden ihnen mitteilen, was ihm anscheinend widerfahren sei. In jenem Augenblick wusste er noch nicht, dass Montserrat Caballé am Vorabend bei einem Soloauftritt in Mataró verkündet hatte: »Morgen kommt José zu uns zurück.« Nachdem ihr Bruder Carlos, Carreras’ Manager, das kurz darauf einer Nachrichtenagentur bestätigt hatte, verbreitete sich die Neuigkeit wie ein Lauffeuer und gelangte noch am selben Tag, dem 27., der gesamten Presse Kataloniens zur Kenntnis. Salvador Dalí hatte einmal in New York gesagt, was man in Manhattan über ihn veröffentliche, sei ihm gleichgültig, ihn interessiere ausschließlich das, was man in den Clubs seiner Heimatstadt Figueres über ihn sage – Entsprechendes galt auch für Carreras. Im Grunde genommen erfüllte es ihn mit tiefer Befriedigung, dass so viele Mitbürger zu seinem Empfang zusammengeströmt waren. In diesem Augenblick hatte er den Rat der Ärzte, die ihm ans Herz gelegt hatten, sich zu schonen und Aufregungen zu meiden, praktisch vergessen. Als er nach der Pressekonferenz in den Wagen stieg, der ihn zu seinem Haus in l’Ametlla del Vallès, kaum eine halbe Stunde von der katalanischen Hauptstadt entfernt, brachte, sah er vor seinem inneren Auge das große Transparent, auf dem gestanden hatte »Barcelona liebt Carreras«, wobei anstelle des Verbs »liebt« ein
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