Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
großes Herz gemalt worden war. Er freute sich unbändig darauf, wieder zu Hause zu sein, in seinem mitten im Wald liegenden wunderschönen Anwesen, von dem aus man an klaren Tagen das in der Ferne liegende Mittelmeer sah. Es war der ideale Ort, um sich zu erholen. Seine Gattin tat, was sie konnte, um Störungen von ihm fernzuhalten, und seine Kinder Albert und Júlia halfen ihm dabei, mit noch größerer Zuversicht in die Zukunft zu blicken.
Nach der Pressekonferenz war ich bestrebt, dafür zu sorgen, dass aus meinem Haus kein Zirkus wurde, und gab daher nur äußerst sparsam Mitteilungen nach außen. Da mir daran lag, meine Privatsphäre zu schützen, dachte ich nicht daran, das Interesse der
Medien an meiner Person auszuschlachten. Nicht ein einziges Mal ist mir der Gedanke gekommen, irgendwem Exklusivrechte für einen Bericht zu verkaufen, denn dergleichen erschien mir unmoralisch. Ich habe gesehen, dass die Medien meine Beweggründe begriffen, was meine Beziehung zu ihnen positiv beeinflusst hat. Daher hat mich später sogar die Regenbogenpresse respektvoll behandelt, wenn persönliche Dinge an die Öffentlichkeit gelangten. Während der drei folgenden Monate bin ich ausschließlich zu Kontrolluntersuchungen nach Barcelona gefahren, denn meine Behandlung war noch nicht abgeschlossen, und ich war noch viele Stunden hindurch über einen Katheter mit meinem »Maschinchen« verbunden. Erst im Mai ließ mir Dr. Grañena die Infusionspumpe abnehmen, und ich fühlte mich endlich wieder frei. Als mir Professor Rozman bald darauf erklärte, ich könne – wenn auch mit gewissen Einschränkungen – wieder normal leben, kam ich mir wirklich geheilt vor. Während des ersten Jahres musste ich mich jeden Monat einer Blutuntersuchung unterziehen, danach drei- bis viermal im Jahr – aber das ist ja in meinem Alter bei mehr oder weniger jedem der Fall.
Die Rückkehr nach Barcelona, die Möglichkeit, sich im Hause von l’Ametlla del Vallès im Kreis seiner Angehörigen zu erholen, zeigte Carreras deutlicher als jeder Arztbericht, dass er wirklich wieder gesund war. Noch immer lag ein langer Weg vor ihm, doch wusste er im tiefsten Inneren, dass er die ihm vom Leben auferlegte harte Prüfung bestanden hatte. Wieder die Zeitungen lesen, die wie früher ins Haus kamen, Gerichte genießen, die er seit seiner Kindheit kannte, auf dem Gesicht die Luft spüren, die vom Montseny-Gebirgszug herüberwehte, wenn er in seinen Garten hinaustrat, waren Empfindungen, die er wie nie zuvor zu schätzen wusste. Schon in Seattle hatte er, als er vor seiner Abreise nach langer Zeit wieder richtig duschen durfte – ohne Katheter, ohne das verwünschte »Maschinchen«, ohne fremde Hilfe –, ein tiefes Glücksgefühl empfunden. Doch jetzt folgten die bewegenden Momente rasch aufeinander. Das Leben lachte ihm wieder, nachdem es ihm sein finsterstes Gesicht gezeigt hatte, und wo ihn
zuvor Sorgen gequält hatten, entstanden in seinem Kopf wieder Pläne und Projekte. Noch gab es keinen Anlass zu frohlocken, da die Gefahr eines Rückfalls im ersten Jahr ziemlich groß ist, doch das Schlimmste war ganz offensichtlich vorüber.
Genau genommen hatte ich vom Augenblick meiner Rückkehr nach Barcelona an das Gefühl, dass ich die Krankheit überwunden hatte. Zwar war mir bewusst, dass noch eine längere schwere Zeit vor mir lag und es zu Nachwirkungen kommen konnte, aber als ich nach meinem langen Aufenthalt in den Vereinigten Staaten den Fuß auf den Boden Kataloniens setzte, spürte ich, dass ich gerettet war. Es war, als seien all meine Befürchtungen mit einem Schlag weggewischt, wie beispielsweise die schreckliche Angst, meine Kinder nicht heranwachsen zu sehen. In den schlimmsten Augenblicken hatte ich mich vor dem Spiegel meines Zimmers in der Hutchinson-Klinik gefragt: Was ist denn das Schlimmste, was passieren kann? Sterben? Nein. Und warum erscheint dir dann der Gedanke zu sterben so grauenvoll? Darauf habe ich mich angesehen und mir selbst geantwortet: Weil es ungerecht ist, nicht mitzuerleben, wie die eigenen Kinder erwachsen werden, heiraten und ihrerseits Kinder bekommen. Und noch etwas gab mir viel zu denken: Die Fülle an Briefen und anderen Mitteilungen, die ich bekam, in denen mir sogar völlig unbekannte Menschen Mut zusprachen und ihre Unterstützung anboten. Viele davon bewahre ich nach wie vor auf. Ich überlegte mir, dass ich sie nicht enttäuschen dürfe, als hätte ich eine Verantwortung für das, was mit mir geschehen konnte.
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