Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
lässt er sich im Stadtbezirk Chuo und dort insbesondere im Geschäftsviertel Ginza dahintreiben, wobei er sich so heimisch fühlt, als befände er sich in Barcelona im Stadtteil Eixample. Eins seiner Lieblingsgeschäfte, wo er allerlei Dinge von unterschiedlichem und bisweilen auch zweifelhaftem Nutzen erwirbt, ist das seit hundert Jahren bestehende Kaufhaus Itoya, auf dessen neun Stockwerken es Schreibwaren aller Art gibt. Dort deckt er seinen Bedarf an Bleistiften, Kugelschreibern, Notizbüchern und dergleichen oder kauft sogar eine Brille.
Die erste Gelegenheit, in Japan zu singen, hat sich ihm wie gesagt 1973 geboten. Im Jahr davor hatte er in Parma in Ein Maskenball debütiert, was er seinem Freund Giuseppe de Tomasi, Regisseur am Liceu, verdankte, ebenjenem Mann, der ihm auch geraten hatte, am Wettbewerb Voci Verdiane teilzunehmen, den er dann auch gewonnen hat. Überdies hatte ihm de Tomasi empfohlen, nach Rom zu fahren und dem Dirigenten Nino Verchi vorzusingen, von dem er wusste, dass er einen Tenor für eine Opernspielzeit in Japan suchte. Seiner Ansicht nach war das für Carreras damals eine günstige Gelegenheit. Die Spielzeit war nur kurz, und das Programm
bestand aus lediglich drei Opern, die jeweils viermal gegeben wurden. Nicht nur verlief das Vorsingen zufriedenstellend, Verchi erinnerte sich auch an Carreras, der unter ihm bereits als Junge die Rolle des Jünglings in Amunt von Joan Altisent gesungen hatte. So verlief die Begegnung herzlich, und der Dirigent bot ihm kurz darauf an, gemeinsam mit Renata Scotto in La Traviata aufzutreten. Von der Aufführung sollte gleichzeitig eine Videoaufnahme gemacht werden.
Man verpflichtete mich für diese Aufführungen von La Traviata , und ich reiste mit dem Ensemble der römischen Oper nach Japan. Der dreitausend Zuschauer fassende Saal der japanischen Fernsehgesellschaft NHK war bis auf den letzten Platz besetzt, wir alle sangen mit großer Begeisterung, und die Aufführung hatte beim Saalpublikum wie auch bei den Fernsehzuschauern Erfolg. Ich fühlte mich von den herausragenden Musikern und Sängern der römischen Oper unterstützt und bei ihnen geborgen. Italiener verstehen es, anderen das Leben angenehm zu machen, und sie sind glücklich und zufrieden, sobald sie, wie fern der Heimat auch immer sie sein mögen, ein Lokal finden, in dem man einen guten Espresso bekommt, und einen Kiosk, an dem sich ein Exemplar des Corriere della Sera auftreiben lässt. Alles lief so gut ab, dass man mir schon wenige Monate nach der Aufführung schrieb, eine Gruppe von Verehrern habe sich zusammengeschlossen und warte nur darauf, mich wieder auf der Bühne zu sehen. Beim nächsten Mal reiste ich zusammen mit Montserrat Caballé nach Japan, diesmal, um die Rolle des Moritz von Sachsen in Adriana Lecouvreur zu singen. Auch diese Aufführung wurde vom Publikum bestens aufgenommen. Dabei ist es übrigens zu dem bereits geschilderten Zwischenfall gekommen, bei dem der Sängerin ein Ohrgehänge in den Ausschnitt glitt, das ich mit zwei Fingern herausfischte. Drei Jahre später ging es erneut nach Japan, diesmal mit dem Ensemble der Covent Garden Opera. Ein japanischer Agent hatte damit begonnen, ungeachtet der Kosten Ensembles großer europäischer und amerikanischer Opernhäuser zu verpflichten und nach Tokio
zu bringen. In diesem Fall waren es sechshundert Personen mit den zugehörigen Kostümen, Kulissen und Requisiten. Ich sang den Cavaradossi in Tosca . Im Jahre 1983 reiste ich für eine Reihe von Solokonzerten dorthin und 1986 wieder mit der Covent Garden Opera, um zusammen mit Agnes Baltsa zu singen. Für das Jahr darauf war vorgesehen, dass ich mit der Mailänder Scala erneut nach Japan reiste, doch hinderte mich die Leukämieerkrankung daran.
Die von Mark McCormack gegründete Firma IMG für Sportmarketing und Großveranstaltungen wollte 1989 in der Londoner Earls Court Arena, die über zwanzigtausend Plätze verfügt und wo bereits Musikgruppen wie die Rolling Stones oder Pink Floyd aufgetreten waren, eine Carmen produzieren. Inzwischen hatte ich die Folgen meiner Krankheit überwunden und im Juli im südspanischen Mérida zusammen mit Montserrat Caballé in Cherubinis Medea gesungen, in der die Tenorrolle zwar wichtig, aber nicht übermäßig anspruchsvoll ist. Michael Storrs von der Geschäftsleitung der IMG fragte mich, ob mein Gesundheitszustand es zulasse, im Oktober Carmen zu singen und anschließend mit der Produktion nach Japan zu reisen. Ich teilte ihm
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