Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
Junge gleichermaßen wichtig. Ich glaube, dass ich Japan inzwischen ziemlich gut kenne, denn ich habe nicht nur in Tokio gesungen, sondern auch in der früheren Hauptstadt Kyoto und in Yokohama, Nagoya, Osaka usw. Ich habe Tempel besucht, in diesem oder jenem Ryokan auf Tatamis am Boden geschlafen, Sushi, Soba (dünne Buchweizennudeln) und Gyoza (pikant gefüllte Teigtaschen) gegessen. Auch hatte ich Gelegenheit, das japanische Publikum nicht nur im Parkett kennenzulernen, sondern bin auch vielen Menschen auf der Straße begegnet. Ich fühle mich in Japan wohl und empfinde die gleiche Hochachtung vor seiner Kultur und Geschichte wie die Japaner vor einem Künstler. Vom ersten Tag an, als ich dort 1973 in La Traviata gesungen habe, bis zum Weihnachtskonzert des vorigen Jahres hatte ich es jederzeit mit einem aufmerksamen, treuen und gebildeten Publikum zu tun, das sich mitreißen lässt, wenn jemand eine außergewöhnliche Leistung zeigt, und Nachsicht übt, wenn man einmal etwas schwächer ist.
Die japanische Küche begeistert mich, und mir geht es im Lande so gut, dass ich gern jedes Jahr einige Wochen dort verbringe. Ich habe gelernt, die Verschiedenheit innerhalb der Einförmigkeit zu erkennen. Ebenso geht es mir mit der Gastronomie: Es
ist ein Irrtum zu glauben, dass es dort nichts als Sushi gibt. Ich esse im Steakhouse Hama sehr gern vorzügliche Filets vom Kobe-Rind. Doch auch einige von Japanern geführte italienische Restaurants sind vortrefflich, beispielsweise die Trattoria Chianti, ein beliebtes Lokal, das ich gewöhnlich zusammen mit meinem Freund Marcel Pascual aufsuche, wenn er geschäftlich in Japan zu tun hat. Er bemüht sich, jeweils zur selben Zeit wie ich dort zu sein.
Das außergewöhnliche Tokioter Hotel Park Hyatt, in dem ich seit 1997 absteige, nimmt die letzten vierzehn Stockwerke eines Wolkenkratzers ein. Auf der 41. Etage befindet sich der Empfang und auf der 52. ein Restaurant, das man sich eindrucksvoller gar nicht vorstellen kann, denn der Rundblick von dreihundertsechzig Grad, den man von dort hat, gestattet es, ganz Tokio zu sehen, mit dem Yoyogi-Park unmittelbar davor und der Kanto-Ebene, an deren Ende man die Straße zum in der Ferne liegenden Fudschijama sehen kann. Dieses Hotel verfügt nicht nur über die allerneueste Technik und jeden Komfort, sondern auch über ein äußerst aufmerksames Personal. Darüber hinaus gibt es eine Bibliothek für die Gäste, in der man überraschende Titel entdecken kann. Der Service des Hauses verdient ganz besondere Erwähnung: Seit man im Hyatt weiß, dass ich mich für Fußball begeistere und Mitglied des FC Barcelona bin, finde ich jedes Mal bei meiner Ankunft auf dem Nachttisch einen USB-Stick mit der Aufzeichnung des jüngsten Spiels meiner Mannschaft. Es bereitet ein ganz besonderes Vergnügen, in meiner Suite ein Spiel meines Lieblingsvereins ansehen zu können, ohne dass ich eigens um die Aufzeichnung bitten muss. Man hat mir sogar die Adresse einer Gaststätte genannt, wo man Direktübertragungen sehen kann und die von vielen japanischen Fans in den blau-rot gestreiften Trikots meines Vereins besucht wird. Gewöhnlich begleitet mich mein Sohn Albert nach Japan, und wir lassen uns keine Direktübertragung entgehen, die wir uns inzwischen über Internet auf den Fernseher holen.
José Carreras versichert, dass er sich in Japan nie einsam und bedrückt wie die männliche Hauptfigur Bob Harris (verkörpert von Bill Murray) aus dem Film Lost in Translation gefühlt hat. Das mag damit zusammenhängen, dass er in einem Augenblick persönlichen Hochgefühls nach Japan gekommen ist, als die Opernhäuser begannen, seine Begabung anzuerkennen, hat aber sicher auch damit zu tun, dass er vom japanischen Publikum vom ersten Tag an freundlich aufgenommen wurde. Gewiss, Bob Harris war nach Tokio gekommen, um einen Werbespot für den Whisky der japanischen Marke Suntory zu drehen, und José Carreras singt gewöhnlich im größten Konzertsaal des Landes, der von ebendieser Firma gesponsert wird, nämlich der Suntory Hall. Im Laufe der Jahre hat er sich an die Besonderheiten der Japaner gewöhnt, an ihre Förmlichkeit, die Art, Gefühle nicht offen zu zeigen und Dinge möglichst nicht beim Namen zu nennen. Die ungeheure Ausdehnung der Stadt hat ihn nie gestört. Da sie in einzelne überschaubare Bezirke eingeteilt ist, kann er sich dort orientieren, während er sich etwa in Houston, wo es solche städtischen Bezugspunkte nicht gibt, verloren fühlt. Gern
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