Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
mit, dass ich das sehr gern tun würde und mich auch dazu imstande sähe, was ich später auf der Bühne bestätigen konnte. In den folgenden Jahren kehrte ich zu weiteren Solokonzerten nach Japan zurück, und schließlich 1996 mit Plácido Domingo und Luciano Pavarotti für das erste Konzert auf der Welttournee der Drei Tenöre. Das wiederholten wir 1999, als man eine große Massengala veranstalten wollte. Erneut traten wir im Jahre 2002 in Japan auf, diesmal aber in Yokohama anlässlich der Fußballweltmeisterschaft. Mehrere Monate danach gab ich dann meine letzte Opernvorstellung in Tokio, und zwar in Sly , einem Werk des venezianischen Komponisten Ermanno Wolf-Ferrari, dessen Vater ein deutscher Maler war. Das sehr gut gebaute Werk geht auf den Prolog der Rahmenhandlung von Shakespeares Der Widerspenstigen Zähmung zurück, der hier den Titel Die Legende vom wiedererweckten Schläfer trägt. Bevor wir mit dieser Produktion der Washington Opera nach Japan
reisten, sind wir damit am Züricher Opernhaus, in Barcelona, Nizza, Turin usw. aufgetreten. Danach war ich jedes Jahr für Konzerte und Soloauftritte in Japan, von denen einige den Zweck hatten, Mittel für meine Stiftung zusammenzubekommen. Wie gesagt: Ich singe ausgesprochen gern vor japanischem Publikum, und es macht mir trotz der großen Entfernung nichts aus, die Reise zu unternehmen.
Die alljährliche Japanreise hat in Carreras’ Terminkalender ihren festen Platz. Er sieht in ihr weniger eine Verpflichtung als etwas, worauf er sich freut, zumal ihm das die Möglichkeit gibt, Mitgliedern seiner nahezu tausend Köpfe zählenden Fangemeinde zu begegnen, die sich im José Carreras Fan Club Japan mit Sitz im Tokioter Stadtteil Koto zusammengeschlossen hat. Daher achtet er stets darauf, dass zwischen zwei Proben ein passender Zeitpunkt gefunden wird, an dem er sich seinen treuen Anhängern widmen kann. Er pflegt im Scherz darauf hinzuweisen, dass es lauter Frauen sind, lediglich den Vorsitz führe ein Mann.
Gewöhnlich empfängt er am Nachmittag eine größere Delegation im Venetian Room seines Stammhotels Park Hyatt. Für diese zwei Stunden verwandelt sich der Saal mit seinen ziegelrot bespannten Wänden in eine provisorische Zweigstelle des Verehrerclubs. Nicht weniger als vierhundert festlich geschmückte Frauen in Cocktailkleidern (einige von ihnen im Kimono) setzen sich jeweils zu zehnt an die mit Blumengestecken geschmückten Tische, bei denen die Farbe Rosa vorherrscht. Die Kellner servieren Tee und Gebäck, während alle darauf warten, dass ihr Idol erscheint.
Pünktlich tritt Carreras auf und nimmt zwischen seinem Sohn und einer Dolmetscherin an einem leicht erhöht stehenden Tisch Platz, damit ihn alle gut sehen können. Dann setzen ihn die Damen über die allgemeinen Aktivitäten des Clubs und darüber in Kenntnis, was man unternommen hat, um Gelder für seine Stiftung zu beschaffen. Anschließend wird mithilfe eines riesigen Würfels ausgelost, in welcher Reihenfolge einige von ihnen ihm Fragen stellen dürfen. Sie erkundigen sich voll aufrichtiger Anteilnahme nach seinen Auftritten, seinen Plattenveröffentlichungen
und wollen wissen, an welchen Orten Japans er sich am liebsten aufhält. Dann folgt die nächste Würfelrunde, wobei es diesmal darum geht, wer sich allein mit ihm fotografieren lassen darf. Anschließend singen sie auf Katalanisch (dank vorher verteilter Blätter) »Happy Birthday« – denn er ist ja im Dezember geboren – und überreichen ihm Geschenke: zwei Kristallgläser, eine Figurine, ein Buch … Zum Schluss treten sie respektvoll zu ihm, um sich gegenseitig in Gruppen von zehn oder zwölf mit ihm zu fotografieren. Manche wagen sogar die Bitte, ihnen eine Widmung auf eine CD oder ein Foto zu schreiben. Viele nutzen den Augenblick der Nähe, um einige Sekunden lang mit ihm zu sprechen, während er sie geduldig begrüßt und ihnen für ihre Treue dankt. Am Ende der Veranstaltung übergeben sie ihm einen Scheck über einen ansehnlichen Betrag, gewöhnlich zwischen vierzig- und fünfzigtausend Euro, den sie für seine Stiftung gesammelt haben.
Ich habe eine ganze Reihe von Fanclubs in Deutschland, Österreich, Großbritannien, den Vereinigten Staaten, Schweden, Polen usw., aber der in Japan gehört zu den aktivsten. Seine Mitglieder interessieren sich nicht nur für meine Auftritte, sondern auch für den Kampf gegen die Leukämie, und viele von ihnen, Frauen zwischen dreißig und siebzig Jahren, unternehmen – zum Teil
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