Auschwitz
– haben sich dagegen verfehlt, und sie werden des Todes sein, gnadenlos. Wir hatten das moralische Recht, wir hatten die Pflicht gegenüber unserem Volk, dieses Volk, das uns umbringen wollte, umzubringen. Wir haben aber nicht das Recht, uns auch nur mit einem Pelz, mit einer Uhr, mit einer Mark oder mit einer Zigarette oder mit sonst etwas zu bereichern. Wir wollen nicht am Schluß, weil wir einen Bazillus ausrotteten, an dem Bazillus krank werden und sterben. Ich werde niemals zusehen, daß hier auch nur eine kleine Fäulnisstelle entsteht oder sich festsetzt. Wo sie sich bilden sollte, werden wir sie gemeinsam ausbrennen. Insgesamt aber können wir sagen, daß wir diese schwerste Aufgabe in Liebe zu unserem Volk erfüllt haben. Und wir haben keinen Schaden in unserem Inneren, in unserer Seele, in unserem Charakter daran genommen.«
Himmler versuchte also eine klare Trennungslinie zu ziehen zwischen den Morden, die gerechtfertigt waren und dem Wohl des Reichs dienten, und der persönlichen Bereicherung, die ein Vergehen darstellte. Dabei beschwor er das Bild einer »harten« und »unbestechlichen« SS. Es ist klar, weshalb er diese Unterscheidung machte. Er hatte zwei Jahre zuvor mit eigenen Augen gesehen, welche psychischen Schäden die Erschießung von Juden bei seinen Männern hinterlassen hatte. Die neu entwickelte Tötungsmaschinerie der Gaskammern hingegen gewährleistete einen gewissen Grad an emotionaler Distanz. Himmler versuchte nun seinen Männern moralischen Halt zu geben, indem er den »anständigen«, aber »harten« Verteidiger des Reichs von dem charakterlosen Opportunisten, der nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht war, abgrenzte. Damit sie ihr Handeln akzeptieren und sich vielleicht sogar ihre Mitwirkung an der »Endlösung« »verzeihen« konnten, mußte er ihnen klarmachen, daß sie zwar Frauen und Kindern ermordet, aber doch ihre Ehre bewahrt hatten. Und dies erreichte er, indem er sie daran erinnerte, daß sie von den Morden nicht persönlich profitiert hatten.
Dies alles war natürlich eine Lüge. Nicht nur, weil die SS in Wirklichkeit in großem Umfang an Unterschlagung, Diebstahl und Korruption in Auschwitz beteiligt war, sondern auch, weil die »Endlösung« keinerlei Trennung zwischen der »ehrenhaften« Ermordung hilfloser Zivilisten und schierer Bestialität zuließ. Nichts verdeutlicht diese Tatsache mehr als die Rolle der SS-Ärzte in Auschwitz. Diese ausgebildeten Mediziner wirkten auf allen Ebenen des Vernichtungsprozesses mit, angefangen bei der ersten Selektion auf der Rampe bis hin zur Ermordung einzelner selektierter Häftlinge. Die durch ein rotes Kreuz als Krankenwagen getarnten Wagen, in denen das Zyklon B zu den Gaskammern gebracht wurde, veranschaulichen mit erschreckender Deutlichkeit ihre tiefe Verstrickung. Die Lagerärzte in Auschwitz standen vor einem schwerwiegenden Dilemma, das sich am besten in der Frage zusammenfassen läßt: Wie kann man die eigene Beteiligung am Massenmord mit dem hippokratischen Eid vereinbaren, der Ärzte zur Heilung von Kranken verpflichtet?
Um zu verstehen, weshalb die Ärzte in Auschwitz in keinerlei Gewissensnöte gerieten, muß man wissen, daß die Beteiligung von Medizinern am Massenmord schon lange fester Bestandteil nationalsozialistischer Politik war. Seit der Machtergreifung 1933 verfocht die nationalsozialistische Führung die Idee, daß bestimmte »Rassen«, ja sogar bestimmte Individuen, ein größeres »Lebensrecht« genossen als andere. Welche praktischen Folgen eine solche Auffassung hatte, zeigte sich in der Einführung der Zwangssterilisation für geistig Behinderte in den dreißiger Jahren.
Auf die engen Verbindungen zwischen dem Euthanasieprogramm, das die Nationalsozialisten im Herbst 1939 einleiteten, und dem Führungspersonal der Todeslager der »Aktion Reinhard« wurde bereits in den vorangegangenen Kapiteln eingegangen. Wirth und Stangl, die Pioniere jener Vernichtungslager, hatten sich beide zu Beginn ihrer blutigen Karrieren an der Ermordung Behinderter beteiligt. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß die Selektion im Rahmen des Euthanasieprogramms von Ärzten durchgeführt wurde – eine Praxis, die sich in Auschwitz fortsetzte. Damit war die Verquickung von Medizin und Massenmord bereits in einer Ideologie angelegt, die die Beseitigung »unwerten Lebens« zur höchsten Pflicht der Ärzteschaft erhob. Dieser perversen Logik war es auch zu verdanken, daß ein praktischer Arzt, Dr. Eberl,
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