Auschwitz
Kommandant des Vernichtungslagers Treblinka werden konnte, ohne daß dies irgend jemanden befremdet hätte.
Zu dem Zeitpunkt, als Eberl seine Arbeit in Treblinka aufnahm, hatte man natürlich den Begriff des »lebensunwerten Lebens« bereits auf die Juden ausgedehnt. In ihrem Versuch, die Ermordung der Juden zu rechtfertigen, griffen die SS-Ärzte auf die frühe Propagandalüge der Nationalsozialisten zurück, die besagte, daß die Juden einen verderblichen Einfluß auf das Gemeinwesen hätten. »Natürlich bin ich Arzt, und ich will Leben erhalten«, sagt der ehemalige SS-Arzt Fritz Klein. »Aus Ehrfurcht vor dem menschlichen Leben würde ich einen eiternden Blinddarm aus einem kranken Körper entfernen. Der Jude ist der eiternde Blinddarm im Körper der Menschheit.« 10
Aus der puristischen Sicht der Nationalsozialisten waren Auschwitz und die anderen Todeslager deshalb eine gesundheitspolitische Maßnahme: Man beseitigte Menschen, die dem Allgemeinwohl schadeten oder das Gemeinwesen bedrohten. Folglich wurden die ersten als nicht arbeitsfähig eingestuften Häftlinge in Block 10, dem Krankenbau, umgebracht – mittels einer Phenol-Injektion. Es war die exakte Umkehrung der medizinischen Ethik: Der Patient wurde nicht geheilt, sondern getötet.
Als 1942 das System der Selektion eingeführt wurde, übernahmen die SS-Ärzte eine Schlüsselrolle im Vernichtungsprozeß. Sie waren es, die eine für den Betrieb des Lagers zentrale Entscheidung trafen: Wer von den Neuankömmlingen sollte leben, und wer sollte sterben. Die aktive Teilnahme von Ärzten am Selektionsprozeß war für die Nationalsozialisten sowohl aus praktischen als auch aus ideologischen Erwägungen unabdingbar. Der praktische Grund lag auf der Hand: Man ging davon aus, daß Ärzte am geeignetsten waren, um auf einen Blick (jede Selektion dauerte nur ein paar Sekunden) die Arbeitsfähigkeit eines Menschen festzustellen. Der ideologische Grund war weniger offensichtlich, dafür aber weit bedeutsamer: Indem man die Ärzte in den Selektionsprozeß einbezog, stellte sich das Töten nicht als Akt reiner Willkür dar, sondern als wissenschaftliche Notwendigkeit. In Auschwitz wurden keine Menschen wahllos abgeschlachtet, sondern man leistete einen wohlüberlegten Beitrag zur Volksgesundheit.
Auf dem Gebiet der medizinischen Forschung sollten sich die Ärzte von Auschwitz von einer besonders grausamen Seite zeigen. Der Einsatz von Häftlingen für diese Zwecke entsprach dem nationalsozialistischen Grundsatz, daß Staatsfeinde ihren »Beitrag« für das Reich zu leisten hätten – wenn nicht durch Zwangsarbeit, dann durch ihren Tod im Dienste der »medizinischen Wissenschaft«. Für einen Arzt, der in der Forschung Karriere machen wollte und sich weder durch Mitleid noch moralische Skrupel behindern ließ, war Auschwitz ein einzigartiges Experimentierfeld. Dr. Clauberg und Dr. Schumann betrieben in Auschwitz »medizinische Forschung« auf dem Gebiet der Sterilisation. Schumann verfügte bereits über einige Erfahrung im Töten; er hatte im Rahmen des Euthanasieprogramms als Arzt im Vernichtungszentrum Sonnenstein gearbeitet, wohin man im Juli 1941 kranke und geschwächte Häftlinge aus Auschwitz gebracht hatte.
Silvia Veselá 11 , eine der ersten slowakischen Frauen in Auschwitz, mußte Clauberg und Schumann assistieren. Sie arbeitete als Krankenschwester in Block 10 im Stammlager, wo zahlreiche Experimente durchgeführt wurden: »In einem Teil des Blocks war die Röntgenabteilung. Dort standen riesige Röntgengeräte mit großen Röhren, die Dr. Schumann bei den Sterilisationen einsetzte. Der andere Teil des Gebäudes war Dr. Claubergs Bereich. Er führte die Sterilisationen mit Hilfe von ätzenden Subtanzen durch, die er in die Eierstöcke der Frauen injizierte, damit sie verklebten. Das Hauptziel dieser Versuche war es, herauszufinden, wieviel von der Substanz nötig war, um eine Sterilisation zu erreichen.«
Himmler verfolgte diese Experimente in Auschwitz mit besonderem Interesse, denn natürlich war die Sterilisation eine der Maßnahmen, mit denen die Nationalsozialisten ihr selbstgeschaffenes »Judenproblem« zu lösen gehofft hatten, ehe die Gaskammern entwickelt wurden; auf der Wannseekonferenz hatte man diese Methode sogar als mögliche Alternative zur Deportation deutscher Juden gemischter Herkunft erwogen. Doch trotz der Versprechungen führender medizinischer Experten wie Dr. Clauberg wartete Himmler noch immer darauf, daß man ihm eine billige
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