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Auschwitz

Auschwitz

Titel: Auschwitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Rees
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tatsächlich der Gedanke gekommen, sie könnten die »besseren« Menschen sein. »Am anderen Ende der Skala sah ich nur verängstigte Juden und Polen, die wegrannten und sich versteckten.« Genau dieses Unterlegenheitsgefühl wollten die Deutschen natürlich unter jenen erzeugen, die sie unterdrückten. Dies war auch einer der Gründe, weshalb Dr. Mengele stets in tadelloser SS-Uniform und blankpolierten Stiefeln auf der Rampe in Auschwitz erschien. Denn die Deutschen waren nicht nur davon überzeugt, daß ihre Gegner »Untermenschen« waren, sondern sie versuchten dies auch durch ihren »Herrenmenschen-Habitus« zu suggerieren.
    Unter diesen Umständen überrascht es kaum, daß die Initiative zum Widerstand in Sobibór von Menschen ausging, die diesem »umgekehrten Rassismus« weniger ausgesetzt gewesen waren: Juden, die der Roten Armee angehört hatten. »Wir trafen am 21. oder 22. September 1943 in Sobibór ein«, berichtet Arkadiy Vasjpapir 27 , einer der sowjetischen Kriegsgefangenen, die mit einem Transport aus Minsk ins Lager kamen. »Wir waren drei Tage lang in geschlossene Waggons eingesperrt – Viehwaggons. Drei Tage ohne Essen und Licht.« Wie es das Schicksal wollte, beschlossen die Deutschen, aus diesem Transport Zwangsarbeiter rekrutieren. »Sie fragten, ob Zimmerleute oder Bauarbeiter unter uns wären«, erzählt Vajspapir. »Und dann wollten sie wissen, wer von uns 75 Kilo heben könnte.« Zum Zeitpunkt ihrer Selektion wußten die sowjetischen Kriegsgefangenen nichts über die Funktion des Lagers: »Wir hatten keine Ahnung, was vor sich ging. Wir dachten, es wäre ein Arbeitslager. Aber abends kamen die anderen Häftlinge zu uns und sagten: ›Eure Freunde brennen.‹ Da begriffen wir, was für eine Art von Lager das war.«
    Unter den etwa 80 sowjetischen Kriegsgefangenen, die man als Zwangsarbeiter ausgewählt hatte, befand sich ein charismatischer Offizier der Roten Armee namens Alexander (»Sascha«) Pechersky. »Er war ein sehr gut aussehender, attraktiver Mann«, sagt Vajspapir, »groß und kräftig gebaut. Wir hatten alle Respekt vor ihm. Sein Wort war Gesetz.« Pechersky hatte großen Einfluß im Lager und war bald der Kopf einer geheimen Widerstandsbewegung. Vor der Ankunft der sowjetischen Kriegsgefangenen hatten immer wieder Häftlinge zu fliehen versucht, meist bei Arbeitseinsätzen außerhalb des Lagers. Doch fast alle Fluchtversuche schlugen fehl. »Wo soll man hingehen, wenn man es schließlich bis in den Wald geschafft hat?« fragt Toivi Blatt. »Praktisch jeden Tag lieferten Bauern aus der Umgebung im Lager Juden ab, die sich irgendwo auf den Feldern versteckt hatten«, und kassierten dafür »fünf Pfund Zucker und eine Flasche Wodka«. Doch Pechersky und seinen Kameraden gelang es, die fatalistische Stimmung im Lager umzukehren. Sie schlossen sich mit Leon Feldhendler zusammen, der bis dahin die kleine Widerstandsgruppe in Sobibór angeführt hatte, und schmiedeten gemeinsam Pläne für eine Massenflucht.
    Nur zwei Wochen nach ihrem Eintreffen im Lager begannen sie einen Fluchttunnel zu graben – ein Unternehmen, das man einige Tage später wieder abbrach, da der Schacht überflutet wurde. Doch da Pechersky wußte, daß es ohnehin so gut wie unmöglich gewesen wäre, sämtliche der über 600 Häftlinge innerhalb einer Nacht sicher durch den Tunnel zu bringen, ließ er den Plan endgültig fallen. Er kam zu dem Schluß, daß ein bewaffneter Aufstand erfolgversprechender war, sofern sie nicht zu lange damit warteten: Wenn in wenigen Wochen der erste Schnee fiel, würden die Deutschen mühelos ihre Spur im Wald verfolgen können. Und so nahm der Fluchtplan, in den auch wichtige Kapos eingeweiht wurden, innerhalb kürzester Zeit Gestalt an. »Die erste Phase bestand darin, Waffen zu sammeln«, erzählt Toivi Blatt. »Messer und Äxte, wovon es in den Werkstätten der Zimmerleute reichlich gab.« In der zweiten Phase würden sie einzelne Deutsche in einen Hinterhalt locken, sie töten und ihnen die Waffen abnehmen. Die dritte und letzte Phase war der offene Aufstand.
    In der zweiten Oktoberwoche erfuhr die Widerstandsgruppe, daß wichtige Mitglieder der Lagerleitung – darunter Gustav Wagner, der stellvertretende Kommandant – nach Deutschland auf Heimaturlaub gegangen waren. Damit war die Position der Deutschen im Lager deutlich geschwächt. Die verbliebenen SS-Leute sollten mit persönlichen Gefälligkeiten geködert und in die Schneider- und Schuster-Werkstätten gelockt werden;

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