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Auschwitz

Auschwitz

Titel: Auschwitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Rees
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damit hing der Erfolg des Aufstands entscheidend von der Bestechlichkeit der Lageraufseher ab. Pechersky erhielt von Vajspapir den Befehl, sich in der Schusterei zu verstecken und den SS-Aufseher, der zum Anpassen seiner neuen Schuhe kam, mit der Axt zu töten. »Ich war sehr aufgeregt«, erzählt Vajspapir. »Uns war klar, daß unser Leben auf dem Spiel stand.« Andere Aufseher sollten mit einem neuen Ledermantel geködert und in die Schneiderei gelockt werden. Danach würden die Häftlinge durch das Haupttor fliehen. Man hoffte darauf, daß die ukrainischen Wachposten, die unter der Knute der Deutschen standen, weder genügend Munition noch den Willen hatten, sie daran zu hindern.
    Der Aufstand begann am 14. Oktober. Um halb vier Uhr nachmittags versteckte sich Vajspapir gemeinsam mit Yehuda Lerner, einem jüdischen Kameraden aus Minsk, im hinteren Teil der Schusterwerkstatt. »Der Deutsche kam herein, um sich neue Schuhe anpassen zu lassen. Er setze sich direkt vor mich. Da trat ich vor und schlug zu. Ich wußte nicht, daß man dafür das stumpfe Ende der Axt benutzt. Ich hatte mit der Schneide zugehauen. Wir schleppten ihn in eine Ecke und deckten ihn mit einem Tuch zu. Und dann kam noch ein Deutscher herein. Als er den anderen auf dem Boden liegen sah, trat er mit dem Fuß gegen ihn und sagte: ›He, was ist los? Was soll der Unsinn?‹ Und als er begriff, was passiert war, hieb ich mit der Axt auf ihn ein. Dann nahmen wir die Pistolen und rannten weg. Hinterher zitterte ich am ganzen Körper. Ich konnte mich lange Zeit nicht beruhigen. Mir war übel. Ich war mit Blut bespritzt.«
    Außer den beiden Deutschen, die Lerner und Vajspapir in der Schusterwerkstatt getötet hatten, wurden noch drei weitere in der Schneiderei umgebracht; einige Männer, die man nicht hatte hinauslocken können, wurden in ihren Büros ermordet. Um fünf Uhr nachmittags hatte man die meisten SS-Leute im Lager getötet, insgesamt neun; doch beunruhigenderweise war der Kommandant noch am Leben. Die Häftlinge versammelten sich wie gewöhnlich zum Appell. »Und dann«, erzählt Toivi Blatt, »ungefähr um Viertel vor sechs, sprang Sascha [Pechersky] auf einen Tisch und hielt eine Rede. Ich erinnere mich noch gut daran. Er sprach über sein Vaterland, die Sowjetunion, und darüber, daß eine Zeit kommen würde, in der alles anders wäre, in der es Frieden geben würde. Und er sagte, daß jeder von uns, der überlebt, die Pflicht hätte, der ganzen Welt zu berichten, was hier geschehen war.«
    Dann zogen die Häftlinge wie geplant zum Haupttor. Doch plötzlich wurde von den Wachtürmen auf sie geschossen. Der Lagerkommandant Frenzel kam aus seiner Baracke gelaufen und eröffnete ebenfalls das Feuer. Damit war eine Flucht durch das Haupttor unmöglich geworden. Also versuchten sie, den Stacheldrahtzaun auf der Rückseite des Lagers zu durchbrechen, obwohl das dahinter liegende Gelände vermint war. Als Toivi Blatt sich mit dem Stacheldraht abmühte, während hinter ihm die Schüsse knallten, spürte er, wie der Zaun plötzlich nachgab und ihn mit seinem ganzen Gewicht zu Boden preßte. »Mein erster Gedanke war: ›Das ist das Ende!‹. Die anderen stiegen über mich hinweg, und die Spitzen des Stacheldrahts bohrten sich in meinen Mantel. Aber da kam mir der rettende Einfall. Ich wand mich aus dem Ledermantel heraus und rannte los. Ich fiel ein paarmal hin. Jedesmal dachte ich, ich wäre getroffen, aber ich stand immer wieder auf, und mir war nichts geschehen. Ich rannte weiter, bis ich den Wald erreichte.« Während er weglief, sah Toivi Blatt vor sich »Körper durch die Luft fliegen«, die von den explodierenden Minen zerfetzt wurden, und da wurde ihm klar, daß es sein »Glück« gewesen war, zu den Letzten gehört zu haben, die das Lager verließen.
    Ungefähr die Hälfte der 600 Häftlinge von Sobibór schaffte es, aus dem Lager zu entkommen. Toivi Blatt führt diesen Erfolg vor allem auf einen Umstand zurück: »Sie [die Deutschen] trauten uns so etwas einfach nicht zu. In ihren Augen waren wir bloß Vieh. Sie rechneten nicht damit, daß Juden jemals um ihr Leben kämpfen würden, da sie erlebt hatten, wie Tausende von uns einfach so in den Tod gegangen waren.« Natürlich war die Massenflucht aus Sobibór ganz wesentlich den sowjetischen Kriegsgefangenen zu verdanken, die sämtliche Härten des Lagerlebens solidarisch meisterten. Sie waren noch keine vier Wochen im Lager, als sie bereits losschlugen. Denn obwohl sie in anderen

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