Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten
weiterhelfen. Hans ist nun auch schon Ende siebzig und dreht langsam ab. Jetzt will er alles abstoßen, und das ist wahrscheinlich auch besser so. Wenn man den ganzen Tag Rasen mäht, Unkraut jätet und Pflanzen pflegt, dann geht einem aller möglicher Mist durch den Kopf, und man versucht, irgendwie noch einen zusätzlichen Kick dabei herauszuholen.
In Brandenburg hatte ein Hobbygärtner bereits Anfang Juli einen Kürbis, der eine halbe Tonne wog. Er wollte damit ins Guinnessbuch der Rekorde. Alle anderen Blüten hat er abgeschnitten und die Triebe gestutzt, damit die ganze Kraft in diesen einen Kürbis läuft. Er schützt die Frucht vor Regen, Wind und Schnecken. Er lebt nur für diesen einen Kürbis. Und würde diesen die Fäulnis befallen, wäre sein Leben nur noch ein Trümmerhaufen. Niemals würde er den Kürbis essen, stand in der Zeitung. Aber was dann? Er könnte das Ding ausstopfen lassen und dem Heimatmuseum stiften. Die Kerne könnte er verkaufen als Superkürbissamen und sich damit zur Ruhe setzen. Aber solche Leute wollen immer mehr, sie sind ruhelos, denn irgendwo auf der Welt könnte jemand an einem noch größeren Kürbis gärtnern. Natürlich einem Einzelkürbis, umhegt, umpflegt und mit Dünger vollgestopft, bis er fast platzt. Aber nur fast, denn wenn er wirklich platzt, hat der Gärtner keine Freude mehr am Leben und siecht antriebslos seinem Ende entgegen, weil er verrückt geworden ist.
Ich bekomme acht Kürbisse in normaler Größe. Da ist nichts mehr zu holen. Aber ich habe einen großen Birnbaum. Nach zwei Tagen habe ich mit der Gartenschere alle Blüten und aufkeimenden Birnen entfernt bis auf eine. Es ist ein fünf Meter hoher Baum. Viel Kraft, die in die eine Birne fahren kann.
Latein, Literatur und die Arbeitswelt
Man war nie darauf vorbereitet. Er kam, sah und siegte. Wir standen auf, er deklamierte: »Salvete, discipuli discipulaeque!«, wir antworteten: »Salve, o magister!«, er befahl: »Considite!«, und wir setzten uns hin. Und dann, manchmal, in unregelmäßigen Abständen, hieß es: »Zettel raus, Name, Klasse, Rand, Datum.« Dann war ein Vokabeltest fällig. Mein Lateinlehrer in der siebten und achten Klasse hieß Tim Schäfer, roch immer schrecklich nach einem sehr süßlichen Rasierwasser, hatte zwei große Hunde und wohnte in einem Gütersloher Außenbezirk. Und wenn er nicht gerade Vokabeltests veranstaltete, blätterte er in einem ominösen Büchlein, murmelte: »Wen wollen wir denn heute mal zwacken?«, und fragte die Hausaufgaben ab. Wenn ich drankam, sagte er nicht Andreas zu mir, sondern nannte mich »mein Fast-Namensvetter«. Das machte ihn fast schon sympathisch. Lateinlehrer sind nicht per se Arschlöcher. Gut, in der neunten Klasse hatte ich Winfried Liske, einen ehemaligen Bundeswehrleutnant, und bei dem muss ich überlegen, ob es noch eine Steigerung von Arschloch gibt. Ich habe recherchiert: Mistbock, Scheißkerl, Kacksack, Bierverschütter und Echsengezücht wurden mir da angeboten. Alles trifft auf Winfried Liske zu. Ab der Zehnten aber hatte ich Jobst Winkelbrandt in Latein. Und Jobst Winkelbrandt war der gütigste Lehrer, den ich kannte. Er gab mir eine Sondererlaubnis, zum Rauchen das Schulgelände zu verlassen, um die Jüngeren nicht zu animieren, obwohl er strikter Nichtraucher war. Und ich bekam mein großes Latinum mit Drei.
Das hat mir nichts genützt. Heutzutage gibt es noch nicht mal mehr ein großes Latinum. Es gibt nur noch ein Latinum. Ob unsereins es in groß oder klein hat, schert keine Sau. Ein halbes Jahr länger habe ich Latein gelernt, um von klein auf groß zu kommen. Ich habe »De bello Gallico« von Gaius Julius Caesar gelesen. Letzten Endes für nichts. »Gallia est omnis divisa in partes tres.« – Der erste Satz. Kennt den noch jemand? – Warum auch. Ist Frankreich noch heute in drei Teile zergliedert? Ich habe darauf verzichtet, Französisch zu lernen, weil mir mit Englisch und Latein zwei Fremdsprachen reichten. Aber mit wem kann ich mich heute auf Lateinisch unterhalten? Vielleicht mit dem Papst. Aber erstens will der sich wahrscheinlich nicht mit mir unterhalten. Und zweitens habe ich das heute nicht mehr so flüssig drauf. War ja auch nur eine Drei. Und ich glaube, selbst die Einser könnten sich nicht auf Latein mit dem Papst unterhalten. Wär ja auch Blödsinn, weil er Deutsch kann.
Warum erzähle ich das überhaupt? – Weil ein Kollege letztens von seinem Klassentreffen berichtet hat. Ich habe bald ebenfalls
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