Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten
Mensch – die ostwestfälischen Pastorinnen!
Im Eingangsbereich entsteht plötzlich ein Tumult. Ein Späteingetroffener aus Stefans Truppe hat offenbar eine Palette Dosenbier mitgebracht, und die Gruppe veranstaltet gerade als Reminiszenz an alte Zeiten Bierschießen. Alle sind aus der Übung, manche husten, einige kotzen in den Saal. Am anderen Ende schreit eine Exschülerin ihren Lehrer an, er habe sie immer getriezt bis aufs Blut und sie hasse ihn heute noch. Der Lehrer verlässt schnell die Veranstaltung, die Exschülerin, jetzt Buchhändlerin, bricht in hysterisches Geheule aus. Ich gehe vor die Tür und taumele in eine Schlägerei. Sven, wie ich später erfahre, hat Karsten vor die Tür gebeten, weil der ihn in der Mittelstufe nie habe abschreiben lassen.
So ist das. Wir sind jetzt alle Anfang 40. Die Pubertät damals war schon schlimm. Und nun die Midlife-Crisis. Was schlimmer ist, ist schwer zu sagen. Heute ist Ausnahmetag: Es wird gesoffen bis zum Gehtnichtmehr, es wird geheult, geschimpft und geschlagen, es wird geküsst und fremdgevögelt. Am nächsten Tag fahren alle wieder nach Hause, und es ist hoffentlich alles gut.
So habe ich das Bodo nach drei Bieren erzählt. Und Bodo fand es spannend. Hinterher haben wir noch einen Wodka zusammen getrunken und sind wieder unserer Arbeit nachgegangen. Zum Abschied hat er gesagt: »Das nächste Bier trinken wir bei mir.« – »Gern«, habe ich gesagt. Aber ich werde ihm nie erzählen, dass das alles erstunken und erlogen war. In Wahrheit war es großartig.
Bei uns aufm Dorf
Prolog:
»Schlüssel wieder da. Wildau / Das war wie ein nachträgliches Geburtstagsgeschenk für Werner Hoppe. Einen Tag nach seinem 64. Geburtstag fand der Wildauer ein wichtiges Schlüsselbund wieder, das er vor drei Wochen verloren hatte.« Märkische Allgemeine Zeitung, 10.03.2009
Egal, welches Wetter – bei Sonnenaufgang kräht der Hahn schräg gegenüber. Dann weiß ich, es ist Zeit aufzustehen. Ich gehe zum Fenster und sehe, wie der blöde Hahn von Schmidtkes auf seinem Misthaufen thront und angibt, als wäre er der Bürgermeister. Meine Frau ist schon länger wach und hat inzwischen Eier und frische Milch vom Bauern geholt. Die Katze schleicht um den Küchentisch, während wir uns selbst gemachte Marmelade aus dem eigenen Garten auf das selbst gebackene Brot schmieren. Den Tisch habe ich übrigens selbst aus gut abgelagerten Birkenbrettern gezimmert, die mir der Förster für eine Flasche Selbstgebrannten überlassen hat. Bald ist es Zeit, unsere zwei Schafe zu füttern. Die Nachbarn sagen, wir würden Polly und Nelly verwöhnen, aber unsereins wollte auch nicht immer nur Gras fressen. Also kriegen die beiden auch immer eine Handvoll selbst geernteter Mohrrüben. Nicht mehr lange, dann müssen sie geschoren werden. Auf dem Flohmarkt haben wir ein Spinnrad gekauft, und Sabine übt unter Anleitung der alten Frau Breugel schon fleißig das Spinnen. Im nächsten Winter werden wir selbst gestrickte Pullover aus selbst geschorener und selbst gesponnener Wolle haben. Die kratzt zwar ein bisschen, aber der Mensch gewöhnt sich an alles.
Nachdem ich ein wenig mit den Schafen gesprochen habe, mache ich mich daran, ein Stück Land umzugraben, denn jetzt müssen dringend die Saatkartoffeln gesetzt werden. Von Schmidtke habe ich zum Düngen einige Schubkarren Mist geholt. Der stinkt bestialisch, denn Schmidtke hat nebenberuflich ein paar Schweine. Wer sich im Dörflichen auskennt, weiß, dass Schweinemist von allen Mistsorten den übelsten Geruch hat. Pferdemist wäre gut, aber der Kremserunternehmer Scholz rückt mit seinen Äppeln nicht raus. Zwei Stunden später kommt der Briefträger angeradelt, und ich bin froh, dass ich eine Pause machen kann. Die Kinder nennen ihn »Onkel Heini«, obwohl er eigentlich Karsten Olschewski heißt. Man hat mir erzählt, »Onkel Heini« werde er genannt, weil einige Frauen im Dorf bei seiner Ankunft immer stöhnen würden: »Jetzt kommt schon wieder dieser Heini auf einen Schnaps vorbei!« Meiner Frau macht das nichts aus. Karsten und ich nehmen auf der selbst restaurierten Gartenbank Platz, und schon kommt Sabine mit einer Flasche Mirabellenschnaps aus eigener Herstellung und zwei Pinnchen zu uns. Unser Postbote ist schon nicht mehr ganz nüchtern, denn wir waren sicher nicht die erste Zwischenstation auf seiner Tour. Wir stoßen an, und ich frage ihn, wie fast jeden Tag, nach den neuesten Neuigkeiten. Karsten lässt sich nicht lange bitten. Der Franz
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