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Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten

Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten

Titel: Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Scheffler
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Klassentreffen. Nach 21 Jahren. Da werden sicher alte Geschichten erzählt. Die gehen mir durch den Kopf. Tim Schäfer mit seinem Parfüm, der blöde Winfried Liske und der nette Jobst Winkelbrandt. Und natürlich frage ich mich, was aus den ganzen Schulkolleginnen und -kollegen geworden ist. Und vor allem frage ich mich, ob vielleicht einer oder eine davon ein Handwerk gelernt hat. Abitur gemacht, aber nicht studiert. »Püh, ich habe mein Abitur, aber warum muss ich jetzt automatisch studieren?« – Ich glaube, das sitzt in Gütersloh nicht drin. »Ich hab Abitur, aber jetzt bin ich Schlosser bei den Stadtwerken. Und ich bin glücklich.« Nein, das sitzt nicht drin in Gütersloh. Schon gar nicht, wenn man auf einem angeblichen Elitegymnasium Nordrhein-Westfalens war. Da macht man vor dem BWL- oder Jurastudium höchstens eine Lehre zum Bank- oder Industriekaufmann, weil die Eltern wollen, dass man etwas Solides gelernt hat, bevor man beim Studieren in einer großen Stadt möglicherweise verlottert.
    Ich bin gespannt, auf wie viele Schnösel ich treffe beim Klassentreffen; vorausgesetzt, ich fahre überhaupt hin. Zwei Kolleginnen, eine davon aus meinem Deutsch-Leistungskurs, haben in Japan studiert; einer ist Redakteur beim ZDF, einer ist Anwalt und wohnt bei mir um die Ecke, ohne dass ich ihn jemals getroffen hätte. Sind die Schnösel geworden? Die Tendenz gab es damals schon. Eine ist Pfarrerin geworden und wohnt noch immer in Gütersloh. Die ist bestimmt nicht schnöselig. Aber einen Handwerker oder eine Handwerkerin unter meinen Jahrgangstufenkollegen, das fände ich klasse. Denn eigentlich, im Nachhinein betrachtet, wäre ich besser auch Handwerker geworden. Tischler. Freiberuflich natürlich. Denn nebenbei würde ich selbstverständlich auch weiter Geschichten schreiben. Und nur dann tischlern, wenn es nötig wäre. Mit so einem Tischler beim Klassentreffen würde ich mich gern an einen Tisch setzen, mit ihm ohne Ende Korn trinken und über Holzarbeiten fabulieren. Andererseits: Ist das nicht auch schnöselig? Denn an sich laufe ich unter der Rubrik »Intellektueller«. In meiner großzügig bemessenen Freizeit handwerke ich sehr viel. Aber für die richtigen, die gelernten Maurer, Elektriker, Gärtner und Tischler bin ich doch der vergeistigte Schriftsteller. Ich würde mich beim einfachen Arbeiter anbiedern. Er würde es vielleicht als herablassend auffassen. Aber wenn der Zimmermann, der in Groß Köris mein Dach macht, dem ich seine halbwegs ehrliche Arbeit bezahle, wenn der wüsste, dass er ein x-mal höheres Einkommen hat als ich, dann würde er sich wohl ein Loch in den Bauch freuen und mich nach Abschluss seines Werkes vielleicht zum Bier einladen. Er würde sagen: »So, das Dach ist dicht.« Und ich würde ergänzen: »Iucundi acti labores sunt. – Angenehm sind die getanen Arbeiten.«

Ab zwölf ist in Ordnung
    Sein Bier alleine zu trinken sei keine gute Sache, führe zu Alkoholismus und mache im Übrigen keinen guten Eindruck, meinen viele. Unter anderem auch unser guter Nachbar Bodo. Als ich Bodo kennenlernte, hatte er den Grundsatz: »Kein Bier vor Einbruch der Dunkelheit.« Später ist er zu »Kein Bier vor vier« übergegangen. Der letzte Stand ist: »Ab zwölf ist in Ordnung.«
    Ich habe gerade die Zeitung ausgelesen, es ist gegen elf, da klopft es an der Terrassentür. Ich öffne, Bodo strahlt mich an und sagt: »Ich hatte gerade Lust auf ein Bier, und alleine soll man ja nicht trinken. Haste eins da?« – Eine überflüssige Frage, denn mittlerweile müsste Bodo wissen, dass ich immer Bier im Haus habe. Die Frage, ob ich auch eins trinken möchte, stellt sich nicht. Wir setzen uns, stoßen an, und er erzählt von einem Richtfest, wo es wohl sehr hoch hergegangen sei. Das Hausbesitzerpaar habe sich aufgrund ausschweifender Flirtereien der Bauherrin so heftig in die Haare gekriegt, dass eine baldige Trennung zu erwarten sei. Das habe er schon oft erlebt, sagt Bodo, dass sich Ehepaare, kaum hätten sie zusammen ein Haus gebaut, getrennt hätten. Ich sage, dümmer könne es ja nun kaum laufen, und überlege, was ich jetzt mal erzählen könnte, so gemütlich beim Bier am Vormittag. Bodo weiß immer so viele Geschichten, da muss ich jetzt auch mal ran.
    Ich könnte von meinem Abiturjahrgangstreffen berichten.
    Was hört man nicht alles, wenn man die vierzig überschritten hat, von diesen Abitur-Jubiläumstreffen! Ein Kollege hatte vor kurzer Zeit sein 25. in einem schleswig-holsteinischen

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