Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten
Recht. Ich bin eine Virenschleuder, ein akuter Krankheitsherd. Und das in Zeiten der gerade akuten hysterieauslösenden Tiergrippe. Dann bin ich an der Reihe. Meine Waren werden eingescannt, ich lege meine Kundenkarte vor, ich zahle, nehme Treueherzen entgegen und sage: »Tschüss.« Die Kassiererin entgegnet: »Tschüss und schönen Tag noch.«
Hat man je etwas Zynischeres gehört? Ich möchte schreien: »Sind Sie blind? Ich hatte bis jetzt keinen schönen Tag. Es war ein richtiger Scheißtag. Und es ist kaum zu erwarten, dass ich heute noch einen schönen Tag haben werde. Möglicherweise werde ich heute noch sterben. Und wenn nicht, werde ich in der Nacht ewig wach liegen, mich von einer Seite auf die andere wälzen und mindestens einmal in der Stunde das Oberbett wenden, weil es nassgeschwitzt ist. Nein, ein schöner Tag wird das ganz bestimmt nicht mehr. Sollte aber doch eine Wunderheilung eintreten, werde ich in Zukunft ausschließlich bei Ihnen bezahlen. Und jedes Mal das Doppelte.«
Tatsächlich rufe ich das natürlich nicht. Denn erstens bin ich dazu viel zu schwach, und zweitens kann die Kassiererin ja gar nichts dafür. Es steht nämlich in ihrem Arbeitsvertrag, dass sie jeden Kunden, ohne Ansehen der Person, mit »Schönen Tag noch« verabschieden muss. Sollte sie es einmal vergessen und der Filialleiter bekommt dies mit oder eine missgünstige Kollegin würde sie denunzieren, wäre sofort eine Abmahnung fällig, und spätestens beim dritten Mal würde sie entlassen und müsste am Arkonaplatz für einen Euro Laub harken oder Hundekacke aufsammeln. Nein, Kassiererinnen haben es auch nicht leicht.
Früher habe ich auf die Verabschiedungsfloskel geantwortet: »Danke. Das wünsche ich Ihnen auch«, bis ich mir dachte, dass dies genauso abwegig ist, wie es einem Sterbenden zu wünschen. Die Kassiererin wird in den nächsten Stunden auf keinen Fall einen schönen Tag haben. Da kann man noch so viel wünschen. Sie leistet eine stupide Arbeit in einem unterbezahlten Job, muss zu allen stinkstiefeligen Kunden möglichst freundlich sein, über schreiende Terrorkinder, die ihren Schokoriegel schon im Laden gegessen haben, hinwegsehen, sich oft ärgern und kriegt früher oder später Probleme mit dem Magen und den Bandscheiben. Ab und zu darf sie mal zur Abwechslung Waren in Regale einsortieren oder bei der Flaschenannahme aushelfen.
In der Gegend, in der ich aufgewachsen bin, sagte man als Abschiedsgruß meistens »Bis die Tage«. Das ist kurz und freundlich und sagt aus, dass man den anderen gern in Kürze wiedersehen möchte. Aber hier, wie auch im Einzel- oder Fachhandel: »Schönen Tag noch.« Ich sage jetzt einfach nur »Danke.« Oder, wenn ich gut gelaunt bin: »Das wünsche ich Ihnen auch. Im Rahmen Ihrer Möglichkeiten.« Daraufhin folgt meistens ein sich gegenseitiges Anlächeln, das schon fast an Kumpanei grenzt. Heute aber habe ich schlechte Laune und antworte: »Und Ihnen noch einen tollen Arbeitstag.« Den wird sie nicht haben, genauso wenig, wie ich mich heute noch über etwas freuen werde, außer über diese meine scharfzüngige Replik.
Der Verkäufer des Monats
Nach Jahren war ich mal wieder alleine in eine Kneipe gegangen. Ich wollte nicht einsam vor dem Fernseher sitzen und mich besaufen. Ich hatte Frühjahrsdepressionen, einen Haufen Schulden, Hautausschlag an der linken Wade, und meine Frau war auf Dienstreise. Mir war zum Heulen zumute. Die Kneipe war brechend voll. Hier durfte man rauchen. An einer Ecke des Tresens stand eine große Sammelbüchse mit der Aufschrift »Für Bußgelder«. Die Raucher steckten fast alle, bevor sie gingen, einen Schein da rein. In einer Ecke des Schankraums war knapp unterhalb der Decke ein Regalbrett angebracht. Darauf stand ein Fernseher, und es lief Premiere mit der 1. Fußball-Bundesliga. Ich setzte mich an den Tresen neben einen dicken Mann in den Vierzigern. Ich war nicht dick, aber auch in den Vierzigern. Ich hatte seit Kurzem Schulden und rauchte immer noch. Ich bestellte mir ein Bier für 4 Euro, das ich zu Hause für 59 Cent hätte haben können. Ich zündete mir eine Zigarette an, war verantwortungslos, und mir war zum Heulen zumute. Der dicke Mann neben mir drehte sich in meine Richtung. Er war schon etwas angeschlagen und hatte feuchte Augen.
»Trinken Sie einen Schnaps mit mir? Ich geb einen aus.«
»Da sag ich nicht Nein«, sagte ich und war auch nahe dran, feuchte Augen zu bekommen.
Wir bekamen jeder einen doppelten Wodka, er hob das Glas und
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