Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten

Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten

Titel: Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Scheffler
Vom Netzwerk:
– So sollte es dieses Jahr nicht sein. Wir Geschwister verabredeten, uns an diesem Weihnachten gegenseitig nichts zu schenken.
    Alles ging los wie gewohnt: Kaffeetrinken, Gesinge, Gabe an die Eltern, Geschenke für die Kleinen. Anschließend gemütliches Beisammensitzen. Mit einem Mal rief Jochen: »Was ist denn das da?« Auf einem Beistelltischchen standen zwei längliche Weidenkörbchen mit Deckel und zwei flache, in Geschenkpapier eingewickelte Dinge. Stefan räusperte sich: »Das ist für euch.« – »Was!, wir hatten doch …« – »Das sind gar keine Geschenke. Packt doch erst mal aus.« Mit finsterer Miene gingen wir auf die Nicht-Geschenke zu. »Ich bin gar nicht brüskiert«, grummelte Jochen. »Kein Stück brüskiert«, ergänzte ich. Zum Vorschein kamen je eine edle Magnum- Flasche Sekt und für jedes Paar ein luxuriöser Wandkalender. Einmal Argentinien, einmal Neuseeland – Urlaubsorte, die wir uns nie leisten könnten. »Tcha, was soll man dazu sagen? Besten Dank.« Bei mir stellte sich leichtes Magendrücken ein. »Das sind bloß Werbegeschenke aus der Firma«, erklärte Stefan schnell, doch es nützte nichts. Vater bot einen Jägermeister an, und wir sagten nicht Nein.
    Die nun folgenden Begebenheiten musste ich am nächsten Tag rekapitulieren. Es spielte sich in etwa so ab: Jochen nahm Blickkontakt mit seiner Frau auf und sagte: »Claudia, holst du mal …« Claudia verschwand für kurze Zeit und kam dann mit zwei Paketen zurück. Bevor Stefan und ich protestieren konnten, hatten wir beide eine Brüskierung in der Hand. Für ihn und Frauke gab es einen Schnellkochtopf, Sabine und ich bekamen ein sechsteiliges Fischbesteck von WMF – »Danke.« Ich fühlte mich gedemütigt, trank noch einen Jägermeister und begann zu schwitzen. »Ich gehe dann mal eben nach oben«, sagte ich und holte meine Pakete aus dem Gästezimmer. Einen riesigen CD-Ständer und die Gesamtausgabe von Robert Louis Stevenson. Nun schwitzten auch die Geschwister. Ich grinste, Jochen nahm sich ein Rennie und Stefan rief, dass das ja wohl die Höhe wäre, gerade wenn man mein Einkommen bedenke. Mein Blick verfinsterte sich und war nahe an der Fähigkeit zu töten. »Man schenkt sich immer viel zu viel«, meinte Vater. »Ja, ja, ja«, stöhnte Jochen fahrig, sprang plötzlich auf und zerrte Mutter in die Küche. Er nötigte sie, ihm mehrere Flaschen Wein zu verkaufen, und verschenkte diese an die anderen. – Eine Verzweiflungstat. Sofort darauf stürzte Stefan aus dem Zimmer zu seinem Auto, kam mit mehreren CDs zurück und verteilte diese. Mir entglitt die Realität. Ich lief in Sabines und mein Zimmer und kam mit einer dicken Willy-Brandt-Biografie, die ich mir zum Lesen mitgebracht hatte, sowie einem Paar von Sabines Ohrringen zurück. Resignation machte sich breit. Alle tranken stumm Bier, Wein und Jägermeister. Vater sagte: »Ihr habt sie ja wohl nicht mehr alle.« Mutter weinte still in sich hinein: »Das meint ihr doch wohl nicht ernst.« – »Todernst!«, brüllte ich. »Noch nie habe ich etwas so ernst gemeint!«, schrie Jochen. Stefan dagegen stand ruhig auf mit umwölktem Hirn und übergab Jochen seine Autoschlüssel. »Wir haben ja noch eins«, flüsterte er. Mir übergab er seine EC-Karte mit der Geheimnummer. »Nimm dir, was du brauchst. Sollst auch nicht leben wie ein Hund.«
    Erschöpft sanken wir alle in unsere Sessel zurück. Jochen und ich starrten mit erloschenen Augen ins Leere. Stefan thronte entspannt in seinem Möbel, die Arme auf den Sessellehnen, und lächelte. Er hatte wieder gewonnen.
    Und mir war ein weiteres Mal klar geworden, dass die ungleichgewichtige Verteilung von Barvermögen, Mobilien und Immobilien zu nichts Gutem führt.

Zynismus im Supermarkt
    Ich stehe im Kaiser’s an der Kasse und fühle mich elend. So richtig beschissen. Und das kann auch jeder sehen. Bevor ich die Wohnung verlassen habe, um schnell das Wichtigste einzukaufen, habe ich einen Blick in den Flurspiegel geworfen. Die Haare kleben, feucht von kaltem Schweiß, am Schädel, in dessen Inneren eine plumpe Masse zu wabern scheint. Die Augen stieren stumpf vor sich hin. Alle fünf Minuten muss ich mich schnäuzen. Und der kontrollierende Blick ins Taschentuch zeigt nichts Gutes: zäh und gelb-grünlich. Immer wieder schüttelt mich ein Hustenkrampf. Wäre ich ein Tier, würde der Arzt erwägen, mich einzuschläfern. Kurz: Ich bin ein Bild des Jammers.
    Die anderen Kunden in der Warteschlange halten Abstand zu mir, und das zu

Weitere Kostenlose Bücher