Ausersehen
Ablenkungen, mehr nicht.“
Ich erstickte beinahe an meiner Neugierde, zu erfahren, wie Zentauren Sex hatten, aber ClanFintan wählte genau diesen Augenblick, um sich zu uns zu gesellen, und, nun ja, wenn Freundinnen über Sex sprechen, ist es ein reines Mädchenthema, sogar wenn eines der Mädchen ein halbes Pferd ist. Da haben Männer nichts verloren.
„Jägerin, das ist ganz ausgezeichnetes Wildbret. Darf ich Sie für Ihren heutigen Jagderfolg loben?“
Ich wusste doch, dass wir Bambi essen.
„In diesem Wald ist das Jagen einfach. Hier wimmelt es nur so von Wild.“
Victorias Stimme klang locker, doch ich spürte, dass das Lob ihres alten Freundes ihr viel bedeutete. Ich wollte ihr gerade sagen, dass ich es auch ganz ausgezeichnet fand, als Dougal sich räusperte, um meine Aufmerksamkeit zu erregen.
„Lady Rhiannon.“ Seine Augen schimmerten, und seine Wangen waren gerötet. „Ich wurde gebeten, zu fragen, ob wir Ihnen heute Nacht wieder eine Geschichte entlocken können.“
Oh nein. Ging das wieder los.
„Das wäre ganz zauberhaft, Rhea.“ Victoria lächelte mich an. „Ich habe gehört, dass du eine meisterhafte Geschichtenerzählerin bist.“
Großartig. Tatsächlich war ich aber nur eine Meisterlehrerin, die ein ausreichend gutes Gedächtnis hatte, um Geschichten anderer abzuwandeln.
Ich merkte, wie ClanFintan neben mir nervös hin und her rutschte. Er war offensichtlich besorgt, dass Shannon Rhiannons Ruf nicht gerecht werden konnte. Inzwischen hätte er mich eigentlich besser kennen müssen. Ich wischte mir die Hände an der Hose ab, warf die Haare zurück und stand auf. Mit einem Lächeln sagte ich zu Dougal: „Ich wäre höchst erfreut, wenn ich euch eine Geschichte erzählen dürfte.“
Meine Worte wurden von der um unser Lagerfeuer versammelten Gruppe mit überraschten Jubelrufen aufgenommen. Ich sah, dass die in Hörweite sitzenden Zentauren die Nachricht weitergaben, sodass meine Zuhörerschaft immer größer wurde.
Für einen Lehrer ist das eine gute Sache.
Ich räusperte mich und legte meine Geschichtenerzählerstimme an, die aus einem Teil Schauspielerin, einem Teil Lehrerin und einem Teil Sirene bestand. An diesem Abend nahm ich mir vor, sehr viel Sirene hineinzulegen, während meine Gedanken rasten und im Geiste die romantische Legende vom Phantom der Oper umschrieben.
„Vor langer, langer Zeit wurde ein Kind mit einem entsetzlich entstellten Gesicht geboren. Seine Augen passten nicht zueinander, seine Lippen waren deformiert, seine Haut war dünn und gelb, wie altes Pergament, und wo seine Nase hätte sein sollen, klaffte nur ein groteskes Loch.“ Meine Zuschauer gaben angewiderte Laute von sich. „Seine Mutter verließ ihn direkt nach der Geburt, aber eine gütige Göttin …“, ich suchte verzweifelt nach etwas Passendem, „… die Muse der Musik, hatte Mitleid mit ihm. Sie trug ihn zu ihrem Tempel und erlaubte ihm, in den dortigen Katakomben zu leben. Um ihn für sein grauenhaftes Äußeres zu entschädigen, schenkte sie ihm die Gabe, die ihr am wichtigsten war: eine nahezu magische Fähigkeit, Musik zu machen, mit Instrumenten genauso wie mit seiner Stimme. Das Kind wuchs zu einem Mann heran, lebte in den unterirdischen Gewölben des Tempels, betete die Musik an und perfektionierte seine Fähigkeiten. Seine einzige Liebe war die Musik; seine größte Freude war es, zuzuhören, wenn die Göttin den jungen Mädchen, die zum Studieren in den Tempel kamen, Gesangsunterricht gab.“
Gebannt lauschten die Zentauren der Geschichte.
„Er war sehr darauf bedacht, von niemandem je gesehen zu werden. Zu diesem Zweck fertigte er sich sogar eine Maske an, weiß wie Mondlicht, das auf Schnee fällt. Bald schon trug er sie immer, um sein Gesicht vor den Schatten und Geistern zu verstecken, die seine einzigen Begleiter waren. Er glaubte, selbst ein Schatten oder Geist zu sein, und er nannte sich das Phantom des Tempels.“ (Na also, funktionierte doch.)
„Er sagte sich, mit seinem Leben zufrieden zu sein, redete sich ein, nichts anderes zu brauchen, um seine dunklen Tage und endlosen Nächte zu füllen, als die Musik. Eines Tages hörte er ein junges Mädchen vorsingen und beging den Fehler, mit einem Spiegel, den er geschickt einsetzen konnte, einen Blick auf sie zu werfen. Auf der Stelle entflammte er in unsterblicher Liebe zu ihr. Ihr Name war Christine.“
Ich ging um das Feuer herum und webte eine abgewandelte Version dieser zeitlosen Geschichte. Ich liebte es, neue
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