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Ausersehen

Ausersehen

Titel: Ausersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. C. Cast
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Strand. Die Sonne hatte schon lange ihren Abstieg begonnen, und während ich zuschaute, küsste sie das Wasser und ließ es violett und pinkfarben erröten. Die sanfte Schönheit des Sonnenuntergangs kam völlig unerwartet, und ich merkte, dass ich vor Freude die Luft anhielt.
    Ich schloss die Augen und konzentrierte mich auf Dinge im Leben, die liebenswert und schön waren, nicht schrecklich und unvorstellbar grausam. Sonnenuntergänge über dem Meer … große Männer … Rotwein. Plötzlich erschien ein Bild hinter meinen geschlossenen Lidern, wie ein Video auf einer Leinwand. Es war eine Vision von meinem letzten Besuch bei meinem Vater. Wir hatten auf den alten schmiedeeisernen Stühlen gesessen, die teilweise schon rosteten, weil Dad sie immer draußen auf der Veranda stehen ließ. Unsere Füße hatten wir auf einen Kalksandstein gelegt, der als Fußhocker diente, aber eigentlich einfach nur zu groß war, um aus dem Weg geräumt zu werden. Es war der Sonntagabend vor der letzten Schulwoche, und es war bereits sehr heiß für Mai – ich erinnere mich, dass das Bier eiskalt war und nach Frühlingsregen schmeckte. Die warme Brise umhüllte uns mit dem süßen Duft von Schmetterlingsflieder, den Dad zwei Jahre zuvor um die gesamte Veranda gepflanzt hatte. Ich sagte ihm, dass ich einfach nicht herausfinden konnte, wieso meiner sich nie so gut entwickelte wie seiner, und er erklärte mir kurz und bündig, dass seiner sich besser entwickelte, weil ich einfach nicht genug Pferdemist untergrub – das ließ mich damals genau wie heute auflachen. Siehst du, sagte mir ein Teil meines Herzens, er lebt noch.
    In einer anderen Welt lebt er noch.
    Meine Wangen fühlten sich kalt an, und ich bemerkte, dass sie nass von Tränen waren. Ich öffnete die Augen und schaute in Richtung Burg.
    Der Sonnenuntergang, der eben noch das Meer in wunderbare Farben getaucht hatte, hatte nun dunklere Töne angenommen, die das Ende des Tages ankündigten. Orange und Rot verliehen den obersten Spitzen der Burgmauern eine nur zu vertraute blutige Färbung, während der Rest der Burg bereits im Schatten lag. Durch meinen Tränenschleier sah das Gebäude aus wie ein lauerndes Biest, immer noch rot gefärbt von Blut. Ich wusste um die Regeln von Metaphern und die Kraft der bildhaften Sprache, aber dieses Bild war nicht hübsch auf Papier gedruckt, und ich lag nicht zusammengerollt mit einem guten Buch und einem Glas Wein auf meiner Couch und verlor mich ein wenig zu sehr in der Fantasiewelt eines Romanautors. Ich schüttelte mich und wischte mir über die Augen. Diese Welt war jetzt meine Realität, aber es musste nicht sein, dass das bösartige Bild vor mir mein neues Leben bestimmte. Ich wandte der Burg den Rücken zu, konzentrierte mich auf das Meer und den Sonnenuntergang und atmete tief die reinigende Abendluft ein.

10. KAPITEL
    Die Sonne war beinahe zur Gänze verschwunden, als ich wieder zu dem nervös wartenden Zentauren hinaufkletterte, der mich erleichtert anschaute.
    „Mach dir nie wieder Gedanken, dass ich etwas Dummes tun könnte. Ich bin kein Selbstmordkandidat.“
    „Natürlich nicht, Mylady.“
    Er sah ein bisschen beschämt aus. Er war wirklich ein süßer Junge/Pferd, was weiß ich.
    „Aber danke fürs Sorgenmachen.“ Ich lächelte ihn an, und er errötete. Aus dem Augenwinkel sah ich zur Burg hinüber. Die untergehende Sonne ließ den Himmel erstrahlen und machte es schwer, etwas zu sehen, aber ich glaubte zu erkennen, dass alle Leichen nun in den Hof der Burg gebracht worden waren.
    „Was meinst du, wie lange sie noch brauchen werden?“ ClanFintan hatte recht gehabt, ich wollte nach Einbruch der Dunkelheit auch nicht mehr hier sein.
    „Nicht mehr lange, Mylady. Ich denke, sie werden bald fertig sein.“ Er schaute jetzt auch zur Burg. „Die meisten Leichen lagen im Hof und vor dem vorderen Eingangstor.“
    Ich bemerkte, dass sich von der Burg etwas Dunkles gegen den grauen Hintergrund erhob. „Ist das Rauch?“
    „Ja, Mylady. Sehen Sie, sie kehren schon zurück.“
    Jetzt konnte auch ich die Zentauren vor der Burgmauer sehen, die vom Licht der Fackeln erhellt wurde, die sie in ihren Händen hielten. Ich sah, wie sie die Fackeln über die Mauer warfen. Ihr Fell reflektierte die orange und gelb tänzelnden Flammen. Alle sieben zogen sich langsam von der Burg zurück, verneigten sich gleichzeitig und salutierten den Toten. Dann drehten sie sich wie auf Kommando um und kamen auf uns zugaloppiert.
    Mein Herz vollführte

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