Auserwählt – Die Linie der Ewigen (German Edition)
lässt.“
Bitterkeit schwang in meiner Stimme mit. Ich war verletzt, aber mahnte mich gleichzeitig, dass ich das ja nicht jedem sofort zeigen musste.
„Aline, sei nicht sauer, es hat alles seinen Grund. Wo bist du jetzt?“
Fast hätte ich „bei deiner Mutter“ gesagt, konnte mich aber gerade noch beherrschen.
„Auf der Arbeit, aber gleich auf dem Nachhauseweg.“
Das war zumindest nicht komplett geflunkert.
„Okay, hör zu, du machst jetzt bitte sofort kehrt und bleibst in der Firma, am besten in der Lobby, wo der Empfang besetzt ist. Ich hole dich dann dort ab. Wo arbeitest du?“
Irgendwie gefiel mir gar nicht, was Alan da von mir wollte, und seine Stimme verriet mir eine Dringlichkeit, die nichts Gutes verhieß. Erst zögerte ich, weil ich mir nicht sicher war, ob ich ihm trauen konnte. Doch dann dachte ich daran, wie sich Alan nach Maels Übergriff um mich gekümmert hatte. Daron hätte ihn sicher nicht geholt, wenn er ihn nicht für integer gehalten hätte. Und ehrlich gesagt war mein Vorrat an Alternativen aktuell aufgebraucht. Also nannte ich ihm gehorsam die Anschrift meiner Firma.
„Alan“, setzte ich mit einem flauen Gefühl im Magen nach, „ich bin nicht blöd. Irgendwas stimmt doch nicht. Was ist los?“
Wieder eine Pause, diesmal länger als die vorherige.
„Alan?“, fragte ich noch mal, diesmal mit etwas mehr Nachdruck.
„Mael ist entkommen.“
Mein Herz rutschte innerhalb einer Nanosekunde in meinen String, und lähmende Angst breitete sich statt Blut in meinen Adern aus. Mein Atem beschleunigte sich, und Trockenheit befiel schlagartig meine Kehle.
„Mael …“, keuchte ich atemlos und hätte am liebsten laut losgeschrien, hätte mir in diesem Moment nicht die Stimme versagt.
„Aline, beruhig dich, bitte beruhig dich. Du musst jetzt einen klaren Kopf bewahren“, versuchte Alan mich durchs Telefon zu beschwichtigen. „Geh zurück in deine Firma und warte dort auf mich. Sieh zu, dass du nicht alleine bist. Hast du mich verstanden? Ich beeile mich.“
„Ist … gut“, presste ich mühsam hervor und klappte mein Handy zu, ohne weitere Anweisungen abzuwarten.
Mael war frei.
Das bedeutete, er war hinter mir her.
Er würde erneut versuchen, mich zu vergewaltigen, wenn nicht gar noch Schlimmeres.
Geschockt blickte ich an meinem Baum hoch und sagte nur: „Du hast wirklich eine sehr merkwürdige Art, zu helfen.“
Nach diesen Worten machte ich auf dem Absatz kehrt und eilte den Weg zurück zur Bushaltestelle, über die Straße und direkt in die Lobby. Es war mir egal, wie verwirrt mich die Empfangsdamen anblickten wegen des jämmerlichen Anblicks, den ich bot. In diesem Moment zählte für mich nur, dass ich nicht alleine war. Und auch wenn ich mittlerweile wusste, dass es keinen Gott gab, so schickte ich doch ein kleines Stoßgebet gen Himmel. Ich betete, dass Daron wohlauf sei, wo immer er jetzt auch war, und dass Alan so schnell wie möglich kommen möge.
Irgendwann wird jeder einmal gläubig.
Selbst die Geliebte des Todes.
Welche Ironie.
34
Es schien eine gefühlte Unendlichkeit vergangen zu sein, bis ein silberner Porsche Boxter mit quietschenden Reifen vor dem Gebäude hielt und ungeachtet der Beschilderung einfach in der Einfahrt stehen blieb. Ich dachte mir noch: Was für ein typischer Paris-Hilton-Schlitten, aber als Alan ausstieg, schimpfte ich wegen dieses Klischees mit mir selbst. Schon komisch, was man manchmal miteinander assoziiert, und kaum betrifft es einen Freund, wirft man das ganze Konstrukt wieder über den Haufen. Ausnahmen und ihre Regeln, na, Sie kennen das ja. Als sich die elektrische Glastür öffnete und Alan die Lobby betrat, hörte ich, wie die Empfangsdamen den Atem anhielten. Ich konnte es ihnen nicht verdenken – zu imposant und hypnotisierend wirkte Darons großer Bruder. Aus jeder Pore seines Körpers troff nahezu Testosteron, wie er sich in seiner schwarzen Lederjacke und der knackigen Jeans mitten in der Halle postierte, um nach mir Ausschau zu halten. Er war wirklich ein optischer Leckerbissen, da gab es nichts. Hätte ich mein Herz nicht bereits vergeben gehabt … Ich schüttelte den Kopf und verjagte den Gedanken ganz schnell wieder.
Klasse, Aline. Draußen läuft ein Irrer mit übernatürlichen Kräften rum, der dir ans Leder will, dein Freund ist weiß Gott wo und kann dir offenbar nicht helfen, und du denkst in so einer Situation an nichts anderes als daran, dass sein Bruder auch nicht so übel gewesen wäre. Pfui hoch
Weitere Kostenlose Bücher