Auserwählt – Die Linie der Ewigen (German Edition)
zu. Ich weiß nicht, was ich dort wollte, doch sagte mir irgendwas, ich müsste dorthin. Vielleicht war ich auch gerade dabei, überzuschnappen, wer hätte mir das nach den Ereignissen der letzten Tage schon verdenken können?
Am Rande des Weges blieb ich stehen und blickte den knorrigen Stamm entlang nach oben ins bereits licht gewordene Blattwerk. War dort wirklich Darons Mutter in diesem Baum? Irgendwie kam mir das Ganze jetzt geradezu lächerlich vor. Andererseits hatte sich in den vergangen Tagen meine ganze Weltanschauung um hundertachtzig Grad gedreht, also wieso sollte nicht auch das stimmen?
Zögerlich betrat ich das nasse Grün des Rasens, über das sich bereits eine dichte Blätterdecke gelegt hatte. Mir war mulmig zumute, und, ehrlich gesagt, kam ich mir auch ein wenig irre vor. Andererseits hatte ich ja schon vor meiner Begegnung mit Daron mit diesem Baum gesprochen. Also hatte ich das Prädikat „äußerst merkwürdig“ bereits an mir kleben. Sollten die Passanten doch denken, was sie wollten.
Vorsichtig legte ich meine freie Hand an den Stamm, und es tat sich – nichts. Was hatte ich auch schon erwartet? Dass Darons Mutter wie ein Geist neben mir erschien und mir sagte, dass ich mir keine Sorgen machen müsste, es würde alles gut werden? Bei diesem lächerlichen Gedanken musste ich ein wenig grinsen. Mein Verstand ging wirklich langsam in den Urlaub. Fehlten nur noch die rosa Elefanten im Tutu.
„Wenn du mir doch nur sagen könntest, was ich tun soll“, flüsterte ich vor mich hin. Kaum hatte ich die ersten Worte ausgesprochen, spürte ich, wie sich Tränen ihren Weg nach oben erkämpften, und versuchte, sie durch heftiges Schlucken und Zwinkern zu unterdrücken.
Ich verlor den Kampf. Und während sich viele kleine Bäche auf meinen Wangen mit den Regentropfen vermischten, erkannte ich, dass ich mir die letzten Tage offenbar etwas vorgemacht hatte.
Mir und Daron.
Ich hatte versucht, tapfer zu sein.
Heroisch und stark.
Hatte so getan, als würde mich das alles nicht erschüttern.
In Wahrheit drohte ich an dem Druck zu zerbrechen und fuhr wie die Titanic in voller Fahrt auf den Eisberg zu.
Jetzt hieß es Farbe bekennen.
„Ich liebe deinen Sohn“, flüsterte ich gegen den Stamm. „Ich liebe ihn so, wie ich noch keinen Mann vorher geliebt habe, und ich möchte so gerne mit ihm zusammen sein. Aber gleichzeitig habe ich so wahnsinnige Angst vor dem, was auf mich zukommt. Alles, von dem ich dachte, es sei echt, stellt sich nun als falsch heraus, und nichts ist mehr so, wie es mal war. Verstehst du, was ich meine? Ich dachte, ich würde das Alles einfach so wegstecken, aber das stimmt nicht. Gestern hat Daron mich gefragt, ob ich … ihn heiraten will, und heute versetzt er mich. Ich verstehe das nicht und habe das Gefühl, mein Leben rast in Lichtgeschwindigkeit an mir vorbei, während ich wie eine Schnecke hinterher krieche. Ich habe Angst, dass er es sich doch anders überlegt hat. Eigentlich weiß ich, dass das Blödsinn ist. Ich habe mich die vergangenen Tage wirklich gut gehalten, aber jetzt glaube ich, drehe ich langsam durch. Werde hysterisch. Wenn du wirklich Darons Mutter bist, dann bitte … hilf mir. Hilf mir irgendwie, dass ich nicht überschnappe. Du warst selbst einst eine Bewahrerin und musst doch Ähnliches durchgemacht haben, musst verstehen können, was in mir vorgeht. Ich verstehe mich gerade selbst nicht mehr. Wenn du mir nur irgendwie helfen kannst …“
In diesem Moment klingelte mein Handy in der Tasche so laut, dass ich vor Schreck einen hohen Quietscher ausstieß. So viel zum Thema Paranoia.
Hastig lehnte ich meinen Schirm an den Stamm und kramte nach meinem kleinen Telefon. Dabei wurde ich mal wieder gut nass. Ach, war jetzt auch schon egal. Als ich mein pinkfarbenes Handy endlich in der Hand hielt, blickte ich erstaunt auf das kleine leuchtende Display. Es war Darons Nummer. Mein Herz machte einen Satz, und ich klappte das Telefon reichlich ungeschickt auf.
„Daron?“, rief ich aufgeregt in die kleine Sprechzelle.
„Nein, hier ist Alan.“
„Oh.“
Ich konnte meine Enttäuschung kaum zurückhalten und, ehrlich gesagt, wollte ich es auch gar nicht.
„Hallo, Alan. Wieso telefonierst du von Darons Handy aus?“
Eine kurze Pause entstand.
„Hat er dich etwa nicht angerufen?“
„Doch hat er, aber die Verbindung war so schlecht, dass ich kaum etwas verstehen konnte. Ich habe nur mitbekommen, dass er unser Date heute Abend platzen
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