Auserwählt – Die Linie der Ewigen (German Edition)
geküsst hatten; mir kam es vor wie eine halbe Ewigkeit. Irgendwann war aus vorsichtigem Herantasten eine leidenschaftliche Umarmung geworden, die uns im Strudel unserer Gefühle in den Abgrund der Begierde zog. Als unsere Lippen sich voneinander lösten, musste ich zunächst einmal kräftig Luft holen. Mein Herz schlug so schnell, dass ich dachte, es müsste zerspringen. Noch nie hatte mich ein Kuss so in seinen Bann geschlagen und mir das Gefühl gegeben, gleichzeitig frei und doch irgendwie zu Hause zu sein.
„Wow“, war das Einzige, was ich in diesem Moment sagen konnte, mehr gab mein überreiztes Hirn nicht her.
„Ja, wirklich ‚wow‘“, lachte Daron und gab mir einen kleinen Kuss auf die Stirn. Da ich gerade nicht einmal mehr meinen Namen wusste, tat ich das Einzige, zu dem ich noch fähig war: Ich stimmte in sein Lachen ein. Es war so befreiend, so wunderbar zwanglos. So lagen wir auf meinem Sofa, er oben, ich unten, und lachten, berauscht von dem soeben Erlebten. Augenblick mal – wir lagen? Erst in dieser Sekunde wurde mir bewusst, dass ich mich völlig in seinem Kuss verloren und dabei nicht bemerkt hatte, wie Daron mich sanft in die Kissen gedrückt hatte. Mein Lachen erstarb, und anschwellende Panik füllte den Platz, an dem vorher noch Begehren und Heiterkeit regiert hatten. Zu schwer lastete sein Körper plötzlich auf meinem, zu gefangen fühlte ich mich unter seiner massiven Gestalt.
„Aline, was ist?“, fragte Daron augenblicklich, während sich im selben Moment eine tiefe Sorgenfalte auf seiner Stirn bildete. Er strich sich auf einer Seite unsicher das Haar hinters Ohr, sodass sich der schwarze Vorhang, von dem unsere Gesichter umhüllt gewesen waren, ein Stück weit wieder der Realität öffnete. Ich blickte nach links und erkannte meinen Couchtisch, die noch fast vollen Weingläser darauf und den Eingang zur Küche. Gott sei Dank war auf meine Vorsicht doch noch ein klein wenig Verlass und sie hatte mich gerade noch gerettet, bevor es für mich hätte brenzlig werden können. Für mich und meine moralischen Prinzipien. Und den Hello Kitty -Slip.
„Nichts, ich … ich weiß nicht, was da gerade mit mir passiert. Mit uns. Ich kenne dich doch überhaupt nicht, und trotzdem fühlt es sich an, als wäre es nie anders gewesen. Ich … ich glaube, ich habe einfach Angst.“
Das war, gelinde gesagt, die Untertreibung des Jahrhunderts. Hätte ich gekonnt, ich wäre in diesem Moment vor Schiss am liebsten auf Mausgröße zusammengeschrumpft, von der Couch gesprungen und hätte mich bis zum Ende meines kleinen, pelzigen Lebens zwischen den Wänden meiner Wohnung in meine Scham gehüllt.
Daron musste instinktiv gespürt haben, dass mich diese schnelle Art der Nähe zu überfordern schien. Er erhob sich von mir, fasste dabei mit seinem linken Arm unter meinen Rücken und zog mich mit sich in die Senkrechte, als wäre ich nichts weiter als eine kleine Puppe, die gerade mal so viel wog wie die Watte in ihrem Stoffkörper. Insgeheim war ich ihm sehr dankbar dafür, dass er so rücksichtsvoll und einfühlsam reagierte. Wie viele andere Männer, die ich schon kennengelernt hatte, hätten diese Situation schamlos auszunutzen versucht? Doch nicht er. Er war so ganz anders. Ein sanfter Riese, fiel mir in diesem Moment ein. Mein sanfter Riese.
So saßen wir beide nun wieder auf dem Sofa und blickten einander an wie zwei Teenager, die nicht wussten, wie sie die Stille überbrücken sollten. Während Daron mich weiter mit seinem linken Arm festhielt, hob er seine rechte Hand an meine Wange und streichelte mit seinem Daumen zärtlich über mein Gesicht. Seine Augen strahlten so viel Wärme und Geborgenheit aus, und doch war mir, als läge hinter diesen wunderschönen grünen Auen seiner Iris eine Traurigkeit, die so schwer wog, als würden sie die gesamte Last der Menschheit in sich bergen.
„Warum ist mir, als würde ich dich nicht erst seit gestern kennen?“, fragte ich ihn, nahm seine Hand in meine und drückte ihm einen sanften Kuss auf die Innenfläche. So viele Linien waren auf ihr verzeichnet, so viele Verästelungen und kleine Furchen. Seine Hände waren so groß, und hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich beim bloßen Anblick gedacht, es seien die Hände eines hart schuftenden Bauarbeiters. Doch nirgendwo waren Schwielen oder Risse zu erkennen, seine Haut war weich und unversehrt wie die eines Babys. Und sie roch so gut. Erneut bemerkte ich den Duft von Regen und Wind, Farnen und Moos,
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