Auserwaehlt
Lebenden hinein. Das
KaDeWe war mit Stella gestorben.
„Ist alles in Ordnung?“ Judy starrte den Passanten an, der das gefragt hatte,
und ging in Richtung Keithstraße davon.
„Ich möchte Frau Schwarzenbach sprechen. Ich habe eine Aussage zu machen.“
„Zu welchem Fall?“
„Zum Mordfall Stella Krefeld.“
Die Dame an der Rezeption zog die Augenbraue nach oben. „Moment“, sagte sie und
telefonierte.
„Frau Schwarzenbach ist nicht im Haus“, wandte sie sich ihr wieder zu. „Ich
kann Sie einem anderen Beamten ...“
„Nein. Ich möchte mit Frau Schwarzenbach sprechen.“
„Das kann aber dauern.“
„Dann warte ich.“
Die Frau an der Rezeption telefonierte erneut. Wenig später kam ein Mann die
Treppe herunter, er trug ein weißes Hemd und ein gewinnendes Lächeln.
„Die Dame hat eine Aussage zu machen. Sie sagt, es sei wichtig.“
„Es geht um den Fall Krefeld?“, fragte er. Judy starrte ihn an.
„Ich möchte mit Frau Schwarzenbach sprechen“, beharrte sie.
„Sie kommt gleich“, sagte er. „Kommen Sie solange mit mir mit.“
Er lächelte sie an.
Plötzlich hörte Judy jemanden schreien. Sie drehte sich um. Warum sahen die
Leute sie so komisch an? Wer schreit denn da so laut, fragte sie und dann wurde
ihr schwarz vor Augen.
Als sie wieder zu sich kam, beugte sich der Mann über sie und fragte besorgt,
ob es ihr wieder besser ginge. Sie waren nicht mehr in der Eingangshalle. Er
hatte sie in einen anderen Raum gebracht.
„Hier. Atmen Sie das ein, dann wird es gleich besser“, sagte er.
Der Mann hielt ihr etwas unter die Nase.
Judy wollte wieder schreien, doch diesmal hörte sie nichts.
47
„Die Mails belasten Hagen schwer.“ Clara hielt den
Speicherstick nach oben. Im Raum wurde es zunehmend unruhig. „Ich kann es
selbst nicht glauben.“
Es dauerte einen Moment, bis der Text über den Beamer an der Wandfläche
erschien.
Ein Sanitäter und ein Wachtmeister hatten Clara eine vollkommen aufgelöste Judy
Anspach übergeben. Sie schien einen Nervenzusammenbruch erlitten zu haben. Erst
der Tranquilizer, den Clara in ihrer Handtasche gefunden hatte, machten sie
vernehmungsfähig.
„Wenn du dir einen 1-A-Typen wie mich durch die Lappen gehen lässt, wirst du
nie mehr glücklich, das verspreche ich dir“, las Clara laut vor. Jeder konnte
sehen, dass der Text mit wüsten Beschimpfungen weiterging. Clara scrollte nach
unten.
„Du bist die Liebe meines Lebens“, sagte Clara. „Du bist eine verdammte
Schlampe. Jemand sollte dich mal richtig rannehmen. Was denkst du eigentlich,
wer du bist? Wenn ich dich erwische, wirst du beten, niemals geboren worden zu
sein. Du dreckige ...“
Clara verstummte.
„Verdammt.“ Reichenbaum stand neben der Tür. Er hielt sich den Magen.
Clara zupfte nervös an einer Haarsträhne herum. „Ich kann das nicht glauben.“
Wenn Hagen Stella Krefeld, dann hätte er auch Margot ... Clara schüttelte betäubt
den Kopf. Sie konnte sich das einfach nicht vorstellen. Hagens Schmerz heute
Morgen war echt gewesen, das spürte sie, so echt wie die teuren Anzüge und
Seidenkrawatten, ohne die er nicht aus dem Haus ging.
Und deshalb hältst du ihn schon für unschuldig? Hatte Clara nicht von Anfang an vermutet, dass Hagens Auftreten etwas kompensierte?
Sein Ich war immer so gewollt gewesen, er bewachte es zu streng. Die Rolle, die
er spielte, war ein Klischee, allein das sprach für einen brüchigen Kern. Im
Prinzip hatte sie schon immer das Gefühl gehabt, dass seine Sprache falsch war,
wie jede Sprache, die sich unangreifbar machen wollte.
Claras Blick fiel auf die Wandtafel. Zeigte die Sprache dieser E-Mails sein echtes
Gesicht? Wie man es drehte und wendete: Hagen hatte es nicht geschafft, sich
mit der dunklen Seite seiner Person zu versöhnen.
Alle schwiegen.
Clara war froh, dass Reichenbaum die Sitzung auf den Kern seines Teams beschränkt
hatte. Nur drei seiner Mitarbeiter waren anwesend. Ihre Augen waren noch immer
ungläubig auf die Worte gerichtet, die an der Wand leuchteten.
„Okay.“ Reichenbaum löste sich vom Türpfosten und ging nachdenklich auf seinen
Platz zu. „Hagen war in das Mädchen verschossen. Er war ein enger Mitarbeiter
von Margot.“
Er setzte sich. Nervös fuhr er über die Bartstoppel an seinem Kinn. Clara hatte
ihn noch nie unrasiert gesehen. „Aber ich kenne Hagen. Ein offizielles Verfahren
gegen ihn einzuleiten wäre ...“
Im Raum brach Gemurmel aus. Clara suchte den Blickkontakt zu Rebecca.
„Thilmann“, ergriff Rebecca schließlich das
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