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Auserwaehlt

Auserwaehlt

Titel: Auserwaehlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Nowak
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Der Hinterhof leer. Die Kastanie stand
verlassen da. Clara legte sich wieder hin. Das Klopfen kam zurück.
Es war ihr eigener Puls. War das wirklich ihr eigener Puls? Clara stand auf.
Sie konnte nicht abschalten. Ihr Körper war in Alarmstellung. Sie musste etwas
tun. Sie musste Margot anrufen, um ihr alles zu erzählen.
Margot? Der Drang war so groß, dass sie ihre Hände unter den kalten Wasserhahn
hielt.
Margot ist tot. Clara blieb vor dem Kleiderschrank stehen. Sie probierte das schwarze
Retro-Kleid mit den kleinen, weißen Blümchen und den Puffärmelchen an, die dezent
genug waren, damit das Ganze nicht zu süß wirkte. Sie hatte das Kleid an einem
kalten, matschigen Februartag gekauft, kurz nachdem sie den Leiter eines
Pflegeheims verhaftet hatten, der im Verdacht stand, die Misshandlungen und
Vernachlässigung der ihm anvertrauten Menschen systematisch betrieben zu haben.
Die Details waren so hässlich gewesen. Claras Sehnsucht nach etwas Schönem zu
groß. Das Kleid war figurbetont, doch nicht zu eng und hatte an der Taille
Raffungen. Sie drehte sich vor dem Spiegel. Die Raffungen waren ideal, man sah
kaum etwas. Es sah aus, als habe sie gestern Abend nur zu viel gegessen.
Sie ekeln mich an, hatte Margot damals zu dem Heimleiter gesagt.
Margot? Clara setzte sich aufs Bett. Wo bist du jetzt?
Clara ging ins Bad, sie zog einen Mittelscheitel und band die Haare zu einem
tiefen Pferdeschwanz. Im Flur suchte sie nach der Tasche, die gerade gerade
groß genug war, dass ihre Waffe hineinpasste.
Die beiden Frauen in der U-Bahn ihr gegenüber unterhielten sich angeregt. Clara
sah, wie ihre Lippen sich bewegten, sie sah, wie sie gestikulierten und
lachten, doch sie verstand nicht, was sie sagten. Die Worte waren leer. Clara
versuchte, sich auf die Unterhaltung zu konzentrieren, doch es gelang ihr
nicht. Sie versuchte, über Augenkontakt eine Verbindung zu den beiden herzustellen,
doch sie schienen sie nicht wahrzunehmen. Es war, als habe jemand die
Verbindung abgeschnitten. Als gehöre Clara nicht mehr dazu. Draußen war es
schwarz. Nichts war mehr von Interesse. Bis auf die Frage, wer Margot das
angetan hatte.
Am U-Bahnhof Güntzelstraße stieg sie aus.
Gedankenverloren starrte sie auf ein Kinoplakat. Sie hatte den Film mit Catherine
Deneuve und Gérard Depardieu damals mit Margot in der Spätvorstellung gesehen.
Wider Erwarten hatte Margot der Film gefallen. Sie brachten ihn heute noch mal
im Kant-Kino. Clara beschloss, hinzugehen. Sie wollte Margot nah sein. Die
Gesichter der Schauspieler verschwammen vor Claras Augen, steif ging sie
weiter. Jemand rempelte sie an, jemand entschuldigte sich, jemand lachte. Clara
presste die Clutch fester unter ihren Arm. Sie bewegte sich wie in Zeitlupe auf
den Viktoria-Luise-Platz zu. In der Mitte erhob sich eine Fontäne.
Auf dem Gehsteig stand ein Mann im schwarzen Anzug. Als sie näher kam, tat er
einen Schritt auf sie zu. Er sah sie an. Seine Augen waren blau. Clara brauchte
eine Sekunde, bis sie realisierte, dass es Johannes war.
„Das ist für Margot.“ Er sagte das, als müsse er sich für den Anzug entschuldigen.
Clara nickte. Sie nahm die Zigarette, die er ihr zur Begrüßung anbot, sie nahm
einen Zug, ließ sie wieder fallen und trat sie aus. Auf dem Vorplatz der
Trattoria saßen die Leute, sie aßen und tranken und glaubten nicht, dass schon
morgen alles vorbei sein konnte. Sprachfetzen und Lichter schwirrten herum.
Clara bemühte sich nicht mehr, etwas festzuhalten.
„Was?“
„Ob du lieber Weißen oder Roten trinkst?“
Clara hob abwehrend die Hände. „Für mich nichts. Danke.“
Sie sahen sich an, den Blick in das schwarze Loch gerichtet, das Margot hinterlassen
hatte.
„Clara?“
Das Holzregal war voll mit Weinflaschen.
„Margot hätte das nicht gewollt.“ Mit seinen Fingerkuppen berührte er ihren
Handrücken, so leicht, als habe er Angst, sie könnte zerplatzen. „Wir müssen
hier bleiben. Wir müssen weitermachen. Er darf nicht siegen.“
Er. Wenn sie an ihn nur dachte, könnte sie schreien.
„Er ist auf der dunklen Seite der Nacht. Du nicht.“
Clara sah die Narben in Johannes Gesicht. Letzten Sommer war Detective Chief
Inspector Jody McDoysen aus Raleigh, North Carolina, im Landeskriminalamt
gewesen, um über ihre Erfahrung bei der Verfolgung von Serientätern zu berichten.
Sie hatte diesen Satz mit der dunklen Seite der Nacht gesagt.
Margot hatte sie eingeladen.
Jody McDoysen hatte miterleben müssen, wie ein sadistischer Psychopath ihren
Mann und

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