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Auserwaehlt

Auserwaehlt

Titel: Auserwaehlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Nowak
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Ein Mann vom
kriminalpsychologischen Dienst hatte ihr ein Beruhigungsmittel verabreicht, sie
blickte apathisch vor sich hin, leise redete er auf sie ein. Clara kannte den
Mann, es war ein guter Mann mit warmen Händen und tiefen Augen.
„Frau Kramer.“ Behutsam setzte sich Kranich neben die beiden auf das Sofa. „Wir
haben noch ein paar Fragen. Aber wenn Sie möchten, kommen wir morgen wieder.“
Die Frau schüttelte den Kopf. „Ich verstehe das nicht. Wer tut meiner Mutter
nur so etwas an?“
„Genau das versuchen wir herauszufinden.“
„Ich verstehe das nicht“, sagte die Frau wieder.
Kranich blickte den Psychologen an. Der nickte ihr zu.
„Ihre Mutter war sehr musikalisch, stimmt das?“, begann Kranich mit einer
Frage, von der sie annahm, dass die Tochter sie leicht beantworten konnte.
Charlotte Kramer schüttelte den Kopf, immer langsamer, bis sie erstarrte.
Clara saß mit angezogenen Knien auf einer Babydecke auf dem Boden und massierte
sich die Füße. Kranich schien zu überlegen, ob sie abbrechen sollte.
Doch plötzlich war da ein Kichern. Sie brauchten einen Moment, bis sie begriffen,
dass es aus Charlotte Kramer kam.
„Musikalisch?“ Das Kichern wurde heller.
Es klang, als wollte Charlotte weinen, doch sie fand den Übergang vom Lachen
zum Weinen nicht. Der Psychologe klatschte in die Hände, als wollte er
verhindern, dass Charlotte Kramer in eine Psychose abrutschte. Es wirkte.
Tatsächlich hörte das Kichern auf.
Sie brauchten alle eine Minute, um sich wieder zu sammeln.
„Wir versuchen, den gestrigen Tag zu rekonstruieren“, versuchte es Kranich
diesmal direkt. „Dazu brauchen wir Ihre Hilfe. Ihre Mutter hat den 18-Uhr-ICE
von Leipzig nach Berlin genommen, das wissen wir bereits. Wo waren sie beide
genau verabredet? Am Bahnhof? Hier bei sich?“ Kranich hob eine Rassel vom Boden
auf. „Wann haben sie das letzte Mal mit ihrer Mutter gesprochen?“
„Vom Bahnhof aus hat sie mich angerufen“, kamen die Worte tonlos, als habe
Charlotte Kramer nichts damit zu tun.
„In Leipzig?“
„Ja. Sie wollte den 18-Uhr-ICE nehmen.“ Charlotte blinzelte. „Um sieben habe
ich dann die Lasagne rein getan. Kurz vor acht, als sie immer noch nicht da
war, habe ich das Baby ins Bett gebracht. Mama ging nicht an ihr Handy. Um zehn
habe ich dann die Polizei angerufen.“
„Wie ist die Nummer?“, fragte Kranich schnell.
Stille.
An der Wand hing eine Fotografie. Sie zeigte eine Frau im schwarzen Abendkleid,
der Kopf war der Geige zugeneigt, zärtlich, wie Clara fand, die dunklen Augen
lauschten. Die Tochter hatte so gar nichts von der Eleganz dieser Frau, doch
der Schock und die Tabletten präsentierten vermutlich eine Frau, die nicht viel
mit Charlotte Kramer zu tun hatte.
„Ihre Mutter hatte also ein Handy bei sich?“ versuchte es Kranich wieder. „Das
ist wichtig, vielleicht können wir es noch orten. Wir brauchen dringend die
Nummer.“
„Bitte geben Sie uns die Nummer geben“, insistierte Clara. Die Frau blinzelte
Clara an, als habe sie sie erst jetzt bemerkt.
„Frau Kramer.“ Kranich berührte sie an der Schulter. „Die Nummer, bitte.“
Die Frau blickte ins Nichts.
Der Psychologe griff nach dem Handy, das auf dem Tisch lag, und reichte es
Kranich. Kranich reichte es Clara. „Ich komme gleich wieder“, sagte diese und erhob
sich barfuß.
Kranich blickte auf die Schuhe mit den hohen Absätzen. Dann blickte sie auf die
weiß lackierte Tür, durch die Clara verschwand, dunkle Kreise bewegten sich
darauf. Kranich rieb sich die Augen.
„Wann genau haben Sie mit ihrer Mutter telefoniert?“ wandte sie sich wieder der
Tochter zu.
„Kurz vor sechs.“
„Wo steigt sie in Berlin immer aus?“
„Am Südkreuz.“
„Wollten Sie sie dort abholen? Wollte sie ein Taxi nehmen? Die U-Bahn?“
„Zu Fuß.“ Charlotte Kramer lächelte unvermittelt. „Wenn es warm ist, geht Mama
meistens zu Fuß.“
„Aber im Stadtpark Steglitz sagen Sie?“ Plötzlich kam Leben in die Gesichtszüge
der Tochter, ihre Worte überschlugen sich: „Der Stadtpark liegt nicht auf der
Strecke, der Park liegt viel zu weit unten, das ist ja fast am Teltowkanal,
nein, das wäre ein ziemlicher Umweg, außerdem geht Mama nie alleine durch den
Park, nie, das hätte sie nie getan, von daher ist ja gar nicht klar, ob sie es
überhaupt ist, die Frau, die sie gefunden haben.“
Charlottes Augen fuhren im Raum hin und her, als suchten sie etwas.
„Ihre Mutter ist tot.“ Die Stimme des Psychologen war tief. „Möchten Sie das
Foto der

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