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Auserwaehlt

Auserwaehlt

Titel: Auserwaehlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Nowak
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war
Staatsanwältin und eine gute Bekannte von ihr.
„Wenn möglich, bittet sie um ein Treffen heute Abend, da sie morgen irgendetwas
mit den Enkelkindern unternehmen will.“
Kranich nickte. Claudia von Lehndorff war eine der wenigen Frauen ihrer Generation,
die sie kannte, die eine gut bezahlte Stelle und ein richtiges Familienleben
hatten. Im Grunde war sie die Einzige.
„Ich habe Euch die Fahrkarten nach Leipzig schon ausgedruckt.“ Leonhard faltete
zwei Din-A-4-Papiere zusammen und steckte sie in einen Umschlag. „Herr Paschke
ist unser Ansprechpartner vor Ort. Er wird Euch direkt am Gleis abholen und zur
Wohnung des Opfers bringen. Er wird dann auch den Einsatz an der Schule
leiten.“
„Danke.“ Kranich nahm einen Schluck Kaffee. „Falls Meyer anruft, erinnere ihn
bitte nochmals daran, dass er den Park rund um die Uhr überwachen lässt. Ich
hab ihm zwar schon auf die Mailbox gesprochen, aber ...“
Leonhard nickte.
Kranich starrte auf das vergrößerte Foto des Opfers, das Leonhard an die
Pinnwand gehängt hatte. Es zeigte Helga Kramer, als sie noch am Leben war.
Jetzt war sie tot. Die Sinnlosigkeit des menschlichen Lebens überkam Kranich so
plötzlich wie die Müdigkeit, die sie mit einem weiteren Schluck Kaffee
wegzuspülen hoffte.
„Wegen dieser Jugendbande?“, fragte Leonhard.
„Jugendbande?“ Hagen trat ein. „Sadisten trifft es wohl eher.“
Kranich drehte sich um.
„Ich habe mal eben kurz recherchiert.“ Er setzte sich Kranich gegenüber an den
Tisch. „Und jetzt hört zu: Im Stadtpark Steglitz, diesem Idyll für Muttis und
Rentner, gab es im letzten halben Jahr vier Fälle von schwerer Körperverletzung,
zwei davon mit tödlichem Ausgang.“
„Was?“ Alle starrten ihn ungläubig an.
Kranich schüttelte den Kopf. „Davon müssten wir gehört haben.“
„Die Opfer waren Tiere, Katzen, um genau zu sein.“ Hagen fuhr sich durch die
kurzen, aufgegelten Haare. „In zwei Fällen wegen Tierquälerei verurteilt und zu
sechsunddreißig Stunden Sozialarbeit verdonnert wurde Raul Malik, vermutlich
der Kopf der Verbrecherbande, die sich jeden Abend im Park volllaufen lässt.“
Clara erhob sich, um Kaffee nachzuschenken. Hagen streifte Leonhard mit einem
mitleidigen Blick, der sofort eifrig aufsprang, um sie zu bedienen. Clara
bedankte sich mit einem Lächeln, das so süßlich war, dass Hagen sich abwenden
musste. Clara glich einen von jenen Südländerinnen, die bei ihrem Spaziergang
durchs Dorf stets einen Pulk Männer nach sich zogen. Ihr Vater war ein
weltfremder Kunsthistoriker aus Oberschwaben und auch ihre Mutter sei Deutsche,
hieß es, doch Hagen hatte seine Zweifel.
„Aber es geht noch weiter“, fuhr er fort, nachdem die beiden wieder saßen. „Die
Katze von Frau Loitsch war eines der Opfer. Nachdem das Tier zwei Tage
verschwunden war, fand sie es total verstört wieder. Als sie ihren Liebling
aufpäppeln wollte, hat die Katze ihr in die Hand gebissen. Das Tier muss die
Wände hochgegangen sein. Zuerst tippte man auf Tollwut, doch dann fand man
heraus, dass jemand der Katze Drogen verabreicht haben muss. Das Tier hatte
nämlich einen Spritzenabszess.“
Kranich kniff die Augen zusammen. „Du meinst, die Katze wurde als Versuchskaninchen
missbraucht, um Ware zu prüfen?“
„Sieht so aus.“ Die beiden sahen sich an. „Frau Loitsch musste das Tier am Ende
einschläfern lassen, doch es wurde leider keine Obduktion vorgenommen.“
„Es wäre also möglich“, Clara drehte die Tasse in ihrer Hand hin und her, „dass
die Tierquäler jetzt einen Schritt weiter gegangen sind. Sie überfallen
Spaziergänger im Park, um die Wirkungsweise einer neuen Droge zu testen.“
Draußen waren Schreie zu hören. Das war nichts Ungewöhnliches.
Kranich trommelte mit den Fingern auf den Tisch. „Aber die geklaute Handtasche.
Das passt nicht ins Bild.“
„Warum?“ Kranich konnte in Hagens Gesicht sehen, dass er von seiner Theorie
bereits vollkommen überzeugt war. „Habgier ist immer ein Motiv. Wenn ich an
jemandem Drogen testen will und ihn gleichzeitig beklauen kann, dann schlage
ich doch zwei Fliegen mit einer Klappe.“
Kranich verübelte ihm das nicht. Sie kannte das: Die Theorie, die man selbst
einbrachte, überzeugte einen in der Regel am meisten.
„Sachte, sachte“, sagte sie nur. Dann wurde ihr Ton schärfer: „Solange es nur
ein Verdacht ist, kein Wort an die Presse, habt ihr das verstanden?“

6
    Die sanierte Altbauwohnung im Leipziger Waldstraßenviertel
atmete, wie das ganze

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