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Auserwaehlt

Auserwaehlt

Titel: Auserwaehlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Nowak
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gereist?“, fragte Clara.
„Was?“ Norbert Lechmeier sah sie entgeistert an.
„Der Reichstag“, nickte Clara. „Das Bild, das über der Kommode hing.“
Sie deutete zum Schrank hinüber, an dessen Seite ein verpacktes Bild lehnte.
„Es ist der verhüllte Reichstag, oder? Helga Kramer hat das Gleiche.“
Er nickte in Zeitlupe.
„Nur sie beide?“
„Ja“, sagte er leise und schluckte.
Sie schwiegen.
„Was ist das eigentlich für eine Schule, das Schloss Knauthain“, fragte Kranich
schließlich.
Norbert Lechmeier beobachtete, wie Clara sich von der Balkontür löste und auf
den Tisch zukam. Die ältere Kripobeamtin hatte sie als Doktor Schwarzenbach
vorgestellt. War sie Ärztin? Warum war sie dann hier? Mussten die das bei der
Polizei jetzt so machen, falls er kollabierte?
Das Geräusch ihrer Absätze verstummte. „Herr Lechmeier?“
„Das Internat Schloss Knauthain ist nicht irgendeine Schule“, antwortete er.
„Es ging aus einer der Russischschulen der DDR hervor, schon damals wurde
gezielte Begabtenförderung betrieben, heute sind wir eine Elite-Schule, die
seinesgleichen in Europa sucht. Es gibt harte Aufnahmeprüfungen, nur mit Geld
ist da nichts zu machen.“
„Aber es kostet ne ganz schöne Stange, hab ich recht?“ Kranich lehnte sich
zurück.
Der Mann nahm einen Schluck Kaffee. Seine Augen verengten sich, während er
Kranich musterte.
„Herr Lechmeier“, sagte die Jüngere im roten Kleid. „Wann haben Sie Helga
Kramer zuletzt gesehen?“
„Ging es nicht schon in den Russischschulen der DDR darum, eine Elite im
Dienste der Staatsregierung heranzuziehen?“ Die Kriminalbeamtin verschränkte
die Arme im Nacken. Ihre Achseln waren nur schlampig rasiert.
Norbert Lechmeier starrte gerade aus.
Clara setzte sich ihm gegenüber.
„Es geht nicht um dressierte Affen, wenn sie das meinen“, sagte Norbert
Lechmeier plötzlich schroff. „Wir wenden uns an Eltern, die Hochbegabung in
ihrer natürlichen Entwicklung fördern möchten. Zurzeit tut sich da einiges im
bildungspolitischen System, auch weil die Privatschulen immer mehr zunehmen.“
„Ich nehme an, damit lässt sich ein schöner Batzen Geld verdienen?“
„Das ist mir zu primitiv.“ Er versuchte, souverän zu klingen.
Clara nahm einen Schluck Wasser. Norbert Lechmeier war viel einfacher zu
durchschauen als seine Frau. Hinter seiner bildungsbürgerlichen Fassade lauerte
ein aggressiver, leicht verletzbarer Kern. In einem Verhör würde er eher früher
als später zusammenbrechen.
Lechmeier faltete die Hände und zwang sich ein Lächeln ab. „Wir fördern
Hochbegabung, wie gesagt.“
Dann spreizte er die Finger und presste die Kuppen zusammen. „Ich habe Helga
nach den Aufnahmeprüfungen mit meinem Auto zum Hauptbahnhof gefahren, das war
kurz vor sechs. Am Haupteingang habe ich sie dann raus gelassen.“ Er schlug die
Hände vors Gesicht. „Sie hat mir noch zugewunken.“
„Und danach haben Sie sie nicht mehr gesehen?“ Kranichs Kaffee stand unberührt
auf dem Tisch.
„Richtig.“ Er nahm die Serviette und wischte sich den Schweiß von der Stirn,
nur die Angst blieb auf seinem knochigen Schädel zurück.
„Sagen Sie“, fuhr er plötzlich an Clara gewandt fort. „Ist Helga ... ich meine,
gab es ein Sexualdelikt?“
„Wir müssen die Obduktion abwarten, aber ich denke, nein“, sagte Clara. „Helga
Kramer war vollständig bekleidet.“
„Hatten Sie gestern noch Sex miteinander?“, fragte Margot und Lechmeier schrie
empört: „Nein!“
Mein Gott, Margot! Manchmal kam es Clara vor, Margot schon ewig zu kennen,
dann wieder wurde sie das Gefühl nicht los, wie jetzt, eine Fremde blicke sie
an.
Der Mann starrte vor sich hin.
„Herr Lechmeier, ich muss sie fragen, wo sie gestern Abend zwischen neunzehn
und null Uhr waren“, sagte Kranich.
Er starrte immer noch vor sich hin.
„Herr Lechmeier?“ Kranich lehnte sich nach vorne. „Sind Sie der Vater von
Charlotte Kramer?“
Clara hatte mit einem Wutausbruch gerechnet, aber nicht damit. Eine Träne lief
ihm die Wange herab.
„Charlotte hat gerade ein Kind bekommen, einen Jungen, stimmt das? Ich habe
einen Enkel!“ Er schüttelte ungläubig den Kopf. „Ich habe einen Enkel und ich
habe ihn noch nicht einmal gesehen.“
Die Sonne fiel durch die Balkontür herein. Irgendwo ertönte Musik. Auf einmal
veränderte sich die Stimmung im Raum und Clara sah, wie Margots Blick wärmer
wurde.
„Weiß Ihre Frau von Charlotte?“, fragte Kranich den Mann, der um sein Enkelkind
und das Leben von

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