Auserwaehlt
eingerichtet worden. Die Tür zum
Computerraum war nur angelehnt.
„Kommt rein“, sagte das Mädchen mit dem blonden Pagenkopf, ohne sich zu den
Männern umzudrehen. Lilly sah aus, als habe sie gestern ihren zwölften
Geburtstag gefeiert, auch wenn sie angeblich schon Anfang dreißig war. Niemand
konnte das glauben. Sie saß auf einem Drehstuhl, der viel zu groß für sie war,
ein Bein angezogen, das andere baumelte in der Luft. Sie arbeitete mit drei
Bildschirmen gleichzeitig, in der Mitte stand der Laptop von Helga Kramer.
Die Männer traten näher. Auf dem Schreibtisch lagen ausgebaute Festplatten, in
einer Schachtel winzige Schrauben.
„Seht Euch das mal an.“ Lucys kleine Finger flogen über die Tastatur.
„Da.“ Lilly klappte den Laptop zu und zeigte auf den größeren Monitor. Plötzlich
wurde alles rot.
„Was ist das?“
„Ein Virus“, antwortete Lilly. „Ich habe ihn im Laptop des Opfers gefunden. Er
wurde am Freitag kurz nach 17 Uhr aktiviert, als das Opfer eine E-Mail öffnete.
Der Virus ist im Prinzip simpel programmiert. Sobald er aktiviert ist, erscheint
ein Fenster“, Lilly zeigte auf den roten Bildschirm. „Das Fenster schließt sich
irgendwann von alleine wieder und zwar nach einem unregelmäßigen Code. Kann
sein, es wird fünf Minuten angezeigt, kann aber auch sein, es sind nur 0,5
Sekunden.“
„Und sonst macht er nichts?“
Lilly nickte.
„Wird die Festplatte nicht zerstört?“
Lilly schüttelte den Kopf. „Der Computer ist zwar blockiert, solange das Bild
angezeigt wird, doch sobald es wieder verschwindet“, sie klatschte in die
Hände. „Ist alles wieder normal.“
Leonhard sah Hagen an. „Meinst du, das hat was mit dem Fall zu tun?“
„Ich bin auserwählt.“ Hagen blickte nachdenklich auf den Bildschirm.
„Die IP-Adresse scheint zu einem Internetcafé zu führen“, sagte Lilly. „Ich habe
eine Halteranfrage gestellt, in ein paar Stunden wissen wir mehr.“
„Gute Arbeit“, Hagen wuschelte Lilly durch das blonde Haar, die sofort zu
kreischen anfing und nach Hagen schlug. „Meine Frisur“, gluckste sie und drehte
sich mit dem Stuhl einmal im Kreis.
Leonhard musterte die beiden kurz. Er selbst gehörte nicht zu denen, die bei
der Arbeit herumalberten. Der Tod, fand er, hatte mehr Respekt verdient.
11
„Kriminalpolizei?“ Die Frau starrte auf Kranichs
Dienstausweis.
„Was wollen Sie?“ In ihrem Gesicht stand die Angst, doch sie schien aus der
Vergangenheit zu kommen. Clara schluckte. Die Frau sah aus wie jemand, dem die
Polizei schon einmal eine Todesnachricht überbracht hat.
„Nur eine Befragung“, versuchte Kranich zu beruhigen.
„Entschuldigung.“ Ein Mann mit Vollbart schob sich vorbei. „Was wollen Sie
genau?“
„Reine Routine“, sagte Kranich. „Es handelt sich lediglich um die Überprüfung
eines Alibis.“
Lediglich. Clara trat von einem Fuß auf den anderen.
Misstrauisch deutete der Mann an, sie sollten hereinkommen in den dunklen,
kalten Flur. Draußen waren es jetzt fast dreißig Grad, doch die Wohnung lag im
Schatten. Sie folgten dem Mann mit dem Vollbart in ein Esszimmer an einen
Holztisch mit passenden Stühlen. Die Stühle waren gepolstert, der Stoff war ein
hässlicher Mustermix aus lila, braun und grün. Clara unterdrückte einen
Hustenreiz, als sie sich setzte. Über ihnen hing ein 5-flammiger Kronleuchter
im antiken Landhausstil. Das Zimmer war beklemmend sauber. Die Frau bot nichts
zu trinken an.
„Es geht um gestern Abend“, sagte Clara und versuchte, zu lächeln, doch ihre
Kiefermuskulatur war verkrampft. „Was haben Sie gestern Abend gemacht?“
Die Frau blickte zu ihrem Mann. Sie trug eine graue Strickjacke und zog sie
enger um sich.
„In welchem Fall ermitteln Sie genau?“
Der Mann mit dem Vollbart bohrte seine Blicke in Claras Gesicht.
„Eine Frau wurde gestern Abend ermordet, in Berlin Steglitz“, erklärte Kranich.
Clara sah die Gänsehaut auf ihren nackten Armen. „Es geht um Norbert Lechmeier,
der, nach aktuellem Ermittlungsstand, die Tote zuletzt gesehen hat. Er gab an,
gestern Abend bei Ihnen gewesen zu sein. Können Sie das bestätigen?“
„Wer war die Frau?“
Kranich starrte durch das Küchenfenster direkt auf die Mülltonnen im Hinterhof.
„Dürfen Sie das nicht sagen?“ hakte der Mann nach.
„Doch, natürlich.“ Clara holte ihr Smartphone heraus, als müsste sie sich vergewissern.
„Helga Kramer.“
Der Mann und die Frau blickten sich nur an, mehr nicht. Doch das genügte.
„Sie kannten Helga
Weitere Kostenlose Bücher