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Auserwaehlt

Auserwaehlt

Titel: Auserwaehlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Nowak
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Knacken sprach damals von dem Abenteuer, das
das Leben zu sein schien. Die Ruine gehörte zu den Villen der Gründerzeit, die
in Lichterfelde märchenhafter waren als anderswo in Berlin. Es gab Türmchen und
Giebel, die an Dornröschens Schloss erinnerten, Hexenhäuser und Holzbalken, die
sich bedrohlich bogen und dazwischen die Angst, alles könnte zusammenfallen.
Manchmal ging Clara auch durch den Stadtpark, um die Strecke zur S-Bahn
abzukürzen. Die langen, dunklen Schatten der Bäume berührten dann eine
Sehnsucht in ihr, die ihr bei Tageslicht vollkommen abstrus erschien: Sie wollte
eine Wanderung durch die Wälder Kanadas machen, nur sie allein und die Frage,
wie sie das überleben würde.
Doch heute war alles anders. Clara und Margot durchquerten den Stadtpark
Steglitz und die Schatten sprachen von nichts als einem Verbrechen.
„Fühlst du das?“ Clara ging schneller.
„Die Stille?“
„Die Angst“, flüsterte sie.
Kranich blieb stehen und sah sie an.
„Als würde uns etwas bedrohen.“ Clara ging weiter.
„Der Park wird überwacht“, sagte Kranich, doch sie hatte noch keinen Beamten
gesehen.
Auf der Rückfahrt von Leipzig waren sie wie Helga Kramer am Bahnhof Südkreuz
ausgestiegen, um zu testen, wie lange man zu Fuß bis zum Stadtpark Steglitz
brauchte. Es waren dreißig Minuten. Der Park war am frühen Abend für die
Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht worden, man hatte gehofft, dass sich
die Bande um Raul Malik versammeln würde, doch außer Kranich und Clara war kein
Mensch unterwegs. Clara rannte jetzt fast.
„Irgendetwas stimmt nicht“, wiederholte Clara und hatte nicht bemerkt, dass
Kranich nicht mehr hinter ihr war. Erst der spitze Schrei, der vom Teich her
kam, ließ sie erstarren. Ihre Hände umklammerten die Waffe, als sie zögernd auf
das Gebüsch zuging.
    „Wer bist du?“
Die Fensterfront in Kranichs Wohnzimmer ließ sich durchgängig öffnen, sodass an
lauen Sommerabenden, wie diesem, Innen- und Außenbereich ineinander übergingen.
Die Grillen zirpten und das Flackern eines Teelichts spiegelte sich in dem Glas
Rotwein, das vor Clara stand.
„Wer bist du? Wer bist du?“
Clara blickte in den Garten hinaus, der in der Dämmerung verschwand. Der Wein
und die Ruhe entspannten sie. Vorhin im Stadtpark hatte Margot den Hauptweg
verlassen, um eine Abkürzung zum Fundort der Leiche zu prüfen. Sie war auf
einem feuchten Stück Holz ausgerutscht, das in der Wiese lag; sonst war nichts
passiert. Clara hatte überreagiert. Sie wusste nicht weshalb, aber sie hatte
den Eindruck gehabt, verfolgt zu werden.
„Hallo Günther. Hallo Margot“, krächzte es wieder.
„Ist ja gut“, sagte Margot.
Günther hatte den Vogel gekauft, als sie damals hier eingezogen waren. Nach
einem halben Jahr war Günther wieder ausgezogen. Margot lebte am besten
alleine.
„Clara. Clara. Guter guter guter Beo.“
Der Vogel war zweifelsohne intelligent. Wenn Margot Gäste hatte, merkte er sich
die Namen oder eines der Worte, das er aufschnappte.
Clara schloss die Augen. Sie würde einfach hier bleiben. Sie wollte heute Nacht
nicht mehr zurück nach Kreuzberg in ihre Wohnung. Niemand wartete dort auf sie.
Niemand, außer der Erinnerung. Es war eine Sommernacht wie diese, in der Maria
ertrunken war.
„Paschke hat den Unfallbericht geschickt“, hörte sie Margot.
„Was?“
Margot hatte ihren Laptop auf dem Schoß und sah auf den Bildschirm: „Achtzehn
Knochenbrüche, eine Schädelfraktur und ein gebrochenes Nasenbein, bevor er
verbrannte.“
Nur die Grillen zirpten.
„Bei dem Toten handelte es sich eindeutig um Gregor Kramer. Es wurden ein
Zahnabgleich und eine DNA-Probe genommen.“
Clara zog die Knie an. Helga und Gregor Kramer hatten zusammen studiert,
zusammengelebt und geschlafen, sie hatten eine gemeinsame Geschichte und es gab
etwas, das man verstehen konnte. Vielleicht hatte Clara deshalb gehofft, der
tot geglaubte Ehemann könnte der Täter sein. Das Ganze wäre ihr dann weniger
brutal erschienen, weniger zufällig ...
Clara nahm einen Schluck Wein und schüttelte den Kopf. Wenn Gregor Kramer
tatsächlich noch leben würde und sich an seiner Frau gerächt hätte – sagen wir,
für das uneheliche Kind, für ihre Selbstständigkeit oder Verachtung – dann
hätte er ihr wahrscheinlich sämtliche Knochen gebrochen, den Schädel
zertrümmert ...
„Aber was sagt man dazu!“ Margot zündete sich eine Zigarette an. „Das Fahrzeug
mit dem amtlichen Kennzeichen L EL 367 war zugelassen auf ...“,

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