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Auserwaehlt

Auserwaehlt

Titel: Auserwaehlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Nowak
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vertieft in den illusionistischen
Effekt der Metamorphose des Lebens.
„Hallo Schatz.“ Susanne sah kurz auf, bevor sie sich wieder ihrer Lektüre zuwendete.
Im Hintergrund lief der Fernseher, die 20 Uhr Nachrichten hatten bereits begonnen
und brachten die bekannten Bilder, Angela Merkel, Obama, Kriegsgebiete, wütende
Islamisten und das Wetter.
Teufel ging in die Küche. Susanne hatte ihm etwas Flammkuchen übrig gelassen.
Mit einer Flasche Bier und dem Essen kam er zurück ins Wohnzimmer, setzte sich
an den Esstisch, klappte den Laptop auf und wartete, bis sich die Verbindung
zum Netz aufbaute. Leonhard Kirchner hatte versprochen, ihm einen Zugang zu
„Helga K.“ im Intranet zu legen legen. Teufel öffnete sein E-Mail-Programm und
registrierte zufrieden, dass das Passwort bereits verschickt worden war. Teufel
wollte sich die Fotos vom Tatort nochmals ansehen, seit heute Morgen hatte er
ein komisches Gefühl, etwas ließ ihm keine Ruhe und er wollte wissen, was es
war.
„Und, was Neues?“
Susanne sah ihn an. Sie war bereits abgeschminkt, wahrscheinlich ging sie heute
Abend nicht mehr weg, das war ungewöhnlich für Samstagabend. Ihr Gesicht
glänzte unter einer dicken Fettschicht.
„Das Übliche“, presste er hervor.
Manchmal fragte er sich, warum sie sich nicht einfach trennte, doch die Frage
war nicht drängend. Vor Jahren hatten sie aufgehört, miteinander zu schlafen,
sie hatten aufgehört, miteinander zu streiten, der Energieaufwand war einfach
zu hoch. Einmal im Jahr gingen sie gemeinsam in den Urlaub, ab und zu gemeinsam
Essen und meist kam sogar ein ganz gutes Gespräch zustande. Er wusste nicht, ob
er Susanne noch liebte und er glaube nicht, dass es ihr anders ging. Doch er
hielt sie für intelligent genug, dieser Frage ebenso wenig Bedeutung zu
schenken, wie er es tat. Wenn Paare noch nach Jahrzehnten die große Liebe
proklamierten, ging das auf Kosten der Frau oder des Mannes, das war seine
Erfahrung, einer der beiden litt dann an einem Mangel an Charakter. Doch
Susanne war selbstständig. Letztlich brauchten sie ihn genauso wenig wie er
sie.
„Geh in nächster Zeit besser nicht mehr durch den Park“, sagte er.
„Wie meinst du das?“
„Heute gab es eine Tote, im Stadtpark Steglitz.“
„Vergewaltigung?“
Er schüttelte den Kopf.
Sie waren einfach zu faul geworden, um noch etwas zu ändern. Warum sollte man
an einem Zustand, mit dem beide zufrieden waren, auch etwas ändern?
„Raubmord?“
„Sieht so aus.“
„Also nicht?“
„Irgendetwas stimmt da nicht.“
„War sie jung?“
Er schüttelte den Kopf und fand es mit einem Mal befremdlich, wie Susanne auf
dem Sofa lag, ein Kissen zwischen den Beinen, eines unter der Brust, den Kopf
mühsam nach oben gereckt.
„Dann halt nicht.“ Sie sah ihn direkt an.
Letzten Sonntag waren sie bei ihrer Schwester zum Mittagessen gewesen, seit
langem mal wieder, denn ihre „Lebenswelten“ seien einfach „zu verschieden“, als
dass man „wirklich etwas Gemeinsames hätte“, meinte Susanne. Die Schwester
hatte vier Kinder und einen Haufen Schulden. Als das jüngste Kind eine
Kartoffel über den Tisch warf, die ihre Schwester zurück in die Schüssel legte,
sah Susanne ihn an, als empfinde er dieselbe Empörung. Da war es ihm zum ersten
Mal aufgefallen, dass er ihren Blick schon lange nicht mehr teilte.
„Das Motiv ist vollkommen unklar“, sagte Johannes.
Susanne wendete sich wieder dem Tablet-PC zu. Sie hatte ihre eigene Welt. Sie
hatten sich damals bewusst gegen Kinder entschieden. Susanne wollte Karriere
machen, er konnte das verstehen, auch wenn ihm selbst, wenn er es genau
bedachte, die Arbeit nie so wichtig gewesen war.
Er loggte sich ins Intranet ein und klickte auf das erste Foto.
Helga Kramer kam ihm schöner vor als heute Morgen. Erst das Foto zeigte ihr
perfektes Leinwandgesicht: Es war ein Charlie-Chaplin-Gesicht, blasse Haut,
große, dunkle Augen, und über allem der strenge Ausdruck von Würde, Schmerz und
Glück. In Rumänien sahen viele Frauen so aus. Auch seine Mutter, nur die hatte
blaue Augen zu den schwarzen Haaren getragen. Er klickte weiter. Clara.
Das Foto zeigte Clara und ihn. Die Leiche wurde gerade abtransportiert, sie
standen am Wegesrand, als seien sie aus der Zeit gefallen. Ihre Körper waren
einander zugeneigt.
„Ich geh mal ins Bett.“
„Schlaf gut“, sagte er. „Ich muss morgen übrigens früh raus, nicht dass du dich
wunderst, wenn ich dann nicht da bin.“
Sie zog eine Augenbraue nach oben.
„Die Tote aus dem

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