Auserwaehlt
sie
schüttelte den Kopf. „Das darf doch nicht wahr sein.“
Clara griff nach Margots Zigarettenpäckchen. Eigentlich rauchte sie nicht, doch
manchmal machte sie eine Ausnahme.
Kranich gab ihr Feuer. „Auf Erika Lechmeier.“
„Erika Lechmeier?“ wiederholte Clara.
„Hör zu.“ Der Schein des Bildschirms färbte Margots Gesicht blau. „Am 19. April
1994 war der Hausmeister des Internats Schloss Knauthain nach eigener Aussage
damit beschäftigt, die Reifen an dem späteren Unfallfahrzeug mit dem amtlichen
Kennzeichen L EL 367 auszuwechseln ... Weil er nur kurz weg gewesen
sei, so Herr Treichelt weiter, habe er den Zündschlüssel stecken lassen. Ohne
Erlaubnis der Halterin ... entwendete das spätere Unfallopfer Gregor Kramer das
Fahrzeug. Die neuen Reifen waren zu diesem Zeitpunkt bereits befestigt, jedoch
noch nicht vorschriftsmäßig festgeschraubt ... blablabla ... In Unkenntnis
dieser Tatsache sei Gregor Kramer mit dem Fahrzeug losgefahren. Die Unfallursache,
heißt es, kann daher bestimmt werden aus zwei Faktoren: Massiver Alkoholeinfluss
und die gelockerten Reifen an dem Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen L EL 357
führten dazu, dass Gregor Kramer von der Fahrbahn abkam und gegen einen Baum
prallte.“
Vom Kanal drangen leise Stimmen herüber.
„Meinst du, die anderen haben gesehen, wie Gregor Kramer sich in das Auto
gesetzt hat?“, fragte Margot schließlich.
Clara nickte. Ich sehe noch genau vor mir , hatte Christine Berger
gesagt, wie Gregor auf das Gelände stürmte, uns als Wendehälse beschimpfte
und davonfuhr ...
„Sie haben ihn fahren lassen“, sagte Clara und blickte in die Dämmerung hinaus.
Im Garten war kaum noch etwas zu erkennen. „Sie wussten es und haben ihn fahren
lassen.“
„Totschlag“, sagte Kranich. „Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein,
wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.
Strafgesetzbuch, § 212.“
Die Stimmen vom Kanal wurden lauter.
„Aber zwanzig Jahre später“, sagte Clara, „wollte Helga Kramer plötzlich reden.
Ihre Schuldgefühle waren zu groß geworden, sie hielt es nicht mehr aus.“
„Die anderen bekommen es mit der Angst zu tun, sie wollen Helga Kramer
einschüchtern“, nahm Margot den Ball auf.
„Christine Berger, die einen Schlüssel zur Wohnung besitzt, legt die roten Zettel
in die Bücher.“
„Doch der Schuss geht nach hinten los und Helga Kramer glaubt jetzt erst recht,
dass sie nie Ruhe vor Gregor finden wird. Sie sieht keine andere Möglichkeit
mehr, sie kündigt ihren Freunden an, dass sie zur Polizei gehen muss , um
nicht wahnsinnig zu werden.“
„Da hatten unsere Freunde ein Problem. Sie mussten sich etwas einfallen lassen.“
Es klingelte an der Tür.
Ursula von Lehndorff hatte schulterlanges, blondes Haar, das
immer wirkte, als käme sie direkt vom Friseur.
„Clara.“ Sie strahlte Clara an.
„Ursula.“ Clara erhob sich und begrüßte die Staatsanwältin mit zwei Wangenküssen.
Margot nahm ein drittes Glas aus dem Schrank, goss Wein ein und wartete, bis
Ursula alles verstaut und sich gesetzt hatte.
„Die arme Frau“, sagte Ursula, durchsuchte ihre Handtasche und legte das Handy
auf den Tisch: „Sie war gerade mal 60! Wie furchtbar.“
Clara nickte.
„In deinem Alter glaubt man nicht, dass man selbst einmal 60 werden könnte“,
sagte Ursula. „Aber es passiert jedem, glaub mir Schatz.“
Margot lachte.
Etwas stimmt mit ihrem Lachen nicht . Clara sah sie an.
„Meine Mutter sagte immer, nichts ist so abstrakt wie das Alter, das man noch
nicht hat“, plauderte Ursula weiter. „Und sie hatte recht.“
Margot verschwand in der Küche.
„Das Kleid steht dir hervorragend“, sagte Ursula, dann warf sie einen Blick auf
die Fotos, die Clara auf dem Wohnzimmertisch ausgebreitet hatte.
„Danke“, sagte Clara. „Aber findest du nicht, dass die Brosche hier zu viel
ist?“
Clara deutete auf den Ausschnitt.
„Im Gegenteil“, versicherte Ursula. „Das gibt erst den richtigen Pfiff.“
Clara nickte zufrieden.
„Mein Gott, du bist schmal geworden“, tadelte Ursula die Hauptkommissarin, als
diese mit einem Schälchen Erdnüsse zurückkam.
„Ja, Mama“, scherzte Kranich, doch sie hatte das Flackern in Ursulas Pupille
gesehen.
„Hast du wieder das KaDeWe ausgeräumt?“ lenkte Kranich die Aufmerksamkeit auf
die blau-weißen Tüten.
„Henry wird Anfang August eingeschult, mein Gott, wie schnell das geht, ich
sage es Euch, und wir basteln die Schultüte ja selbst, naja, und
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