Auserwaehlt
dann muss da
doch auch noch was rein.“ Sie strahlte.
Ursula von Lehndorff erzählte am liebsten von ihrer Familie, einem ehemaligen
ostpreußischen Adelsgeschlecht. Auf dem Gruppenbild, das sie jedes Jahr nach
Weihnachten präsentierte, lächelten alle in die Kamera, nur der alte Lehndorff
verzog keine Miene.
„Das Loch gefällt mir ganz und gar nicht“, sagte Ursula und tippte auf eines
der Fotos. „Ganz und gar nicht.“
Sie meinte das Einstichloch am Hals.
„Habt ihr schon erste Ergebnisse?“ Ursula reichte Margot das Foto.
Die Hauptkommissarin schüttelte den Kopf. Sie brauchte einen Moment, bis sie
erkannte, dass die Frau auf dem Foto sie selbst war. Der Fotograf hatte das
Bild geschossen, als sie sich über die Leiche beugte. Ihre Augen wirkten ungewöhnlich
groß und schwarz. Sie sah aus wie ein angriffslustiges Tier. Sie hasste es,
fotografiert zu werden.
„Wir haben zwei Ermittlungsansätze“, sagte Clara. „Im Stadtpark treibt seit
einiger Zeit eine Bande krimineller Jugendlicher ihr Unwesen, es gab Tierquälereien
und Drogenmissbrauch. Es ist möglich, dass Helga Kramer ihr erstes menschliches
Opfer wurde.“
„Raul Malik wird bereits überwacht“, sagte Kranich. „Bisher aber ohne Ergebnis.“
„Aber auch eine Beziehungstat ist nicht auszuschließen“, fuhr Clara fort. „Wir
haben heute mit ein paar Leuten aus Helga Kramers Umfeld in Leipzig gesprochen.
Es gibt da, sagen wir mal, ein paar Ungereimtheiten.“
„Ungereimtheiten?“
Clara nahm eine Handvoll Erdnüsse und ließ eine nach der anderen in ihren Mund
fallen. „Die Direktorin der Schule, an der das Mordopfer arbeitete, hätte allen
Grund, sie zu hassen. Helga Kramer hatte ein Kind und eine Affäre, beides mit
ihrem Mann. Und eben dieser Mann lügt auch noch, was sein Alibi betrifft.“
„Zumindest hat er sich in der Uhrzeit vertan“, brummte Kranich.
„Weiter“, fuhr Clara fort, „haben wir Eltern eines hochbegabten Kindes, das
sich umgebracht hat. Sie geben Helga Kramer die Schuld dafür und haben sogar
schon das Enkelkind des Mordopfers bedroht.“
Ursula zog die Augenbrauen nach oben. „Das klingt nicht gut. Wenn sich das
erhärtet, müssen wir den Fall nach Leipzig abgeben, das weißt du, Margot.“
„Wir werden sehen.“ Margot gab nicht gern Fälle ab.
Ursula fuhr sich mit beiden Händen über den Hals.
„Weiß man eigentlich schon, was genau gespritzt wurde?“ Sie drehte das Foto mit
dem Einstichloch um, damit sie es nicht mehr sehen musste.
„Die Rechtsmedizin ist wie immer überlastet.“ Margots Laune hatte sich verschlechtert.
„Immerhin hat Johannes versprochen, eine Nachtschicht einzulegen, damit wir das
Ergebnis morgen früh zur Teamsitzung haben.“
„Der Liebe“, lächelte die Staatsanwältin. „Wie geht es eigentlich Susanne?“
Sie sah Margot fragend ins Gesicht, als diese nicht reagierte.
„Ich glaube, ganz gut“, beeilte sich Margot, anzumerken.
13
Zwischen hohen Bäumen tat sich der Blick auf die weiß
verputze Fassade einer Dahlemer Jugendstil-Villa auf, direkt auf den runden
Eingangserker, der dem Ganzen eine repräsentative Note verlieh. Er ging auf die
dunkle Holztür zu. In die goldenen Klingelschilder waren die Namen der
Eigentümer eingraviert; „Teufel/Löffler“ stand auf dem obersten. Über 200
Quadratmeter hatte die Dachgeschosswohnung, die er zusammen mit Susanne gekauft
hatte, über fünfzehn Jahre hatten sie das abbezahlt. Er blickte hoch. Von unten
war nichts zu sehen. Die Dachterrasse war sein Refugium. Wenn er aus dem
Leichenkeller nach Hause kam und der Stadtlärm sich langsam verflüchtigte,
erlaubte sie ihm die Illusion, ganz woanders zu sein.
Johannes Teufel fuhr mit dem gläsernen Aufzug nach oben. Lautlos schwang die
schwere Sicherheitstür auf, nachdem er den Schlüssel im Schloss gedreht hatte.
Die Wohnung hatte keinen Flur. Man stand sofort in dem riesigen Raum, den sie
als Wohn- und Esszimmer nutzten. Susanne saß auf dem Sofa und war in ihren
Tablet-PC vertieft. Sie blickte nicht einmal auf, als er eintrat. Über ihr hing
das Stillleben eines niederländischen Malers aus dem 17. Jahrhundert, das ihm
einmal so gut gefallen hatte. Er kniff die Augen zusammen. Wahrscheinlich
verstärkt durch den Lichteinfall der Stehlampe wirkten die Raupen und Schmetterlinge
heute Abend besonders realistisch: Sie schienen direkt auf dem Bild zu hocken.
Sie schienen sich mit letzter Kraft zu halten, bevor sie jeden Moment herabfallen
würden. Er blieb an der Garderobe stehen,
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