Auserwaehlt
Park ist dran, Margot sitzt schon auf Kohlen, und nur morgen
früh um sechs war noch was frei“, erklärte er, doch Susanne war schon halb im
Gang verschwunden.
„Nicht dass du dich wunderst“, murmelte er leise.
Helga Kramer lag auf dem Rücken im Gras. Das Foto war so aufgenommen, dass die
Kopfwunde kaum sichtbar war. Sie trug schwarze Lederhalbschuhe mit leichten
Absätzen, den Hosenanzug, das weiße Hemd, ein Seidenhalstuch. Der Täter hatte
sich nicht für ihren Körper interessiert, das war offensichtlich. Wofür dann?
War es doch das Geld? Die Möglichkeit, dass der Täter sie wieder angezogen
haben könnte, bevor er sie ablegte, schloss Teufel aus. Meist waren die Leichen
dann nur schlampig bekleidet, Knöpfe fehlten, Socken und Unterhosen waren
verrutscht. Doch bei der Frau hatte alles gestimmt. Sogar die Stützstrümpfe
waren an den Zehen nach vorne gezogen, Susanne machte das genauso, weil es
sonst spannte, sagte sie.
Teufel klickte sich durch die Fotos. Mit Nummern versehen waren die einzelnen
Kleidungsstücke später vor einem neutralen Hintergrund aufgenommen worden:
Schuhe, Hose, Jackett, Halstuch, Strümpfe, Unterhose, BH. Das Halstuch war
ausgebreitet ein Quadrat von fast einem Meter auf ein Meter, ein Maßband lag
daneben. Es war blau mit goldenen Wagenrädern. Teufel blickte auf das leere
Sofa hinüber, Susanne hatte vergessen, die Leselampe auszumachen.
Er gähnte, nahm die schmale Treppe hoch zur Galerie, öffnete die gläserne
Doppeltür und trat auf die Dachterrasse hinaus. Das war sein Reich. Es roch
nach Sommer. Zusammen mit einem Freund, der im Tropenhaus des Botanischen
Gartens arbeitete, bepflanzte er die Terrasse alle fünf Jahre neu. Susanne fand
das Ergebnis regelmäßig zu „schwülstig“, sie hätte Buchsbäume in silbernen
Kübeln bevorzugt. Er ging vor bis an das Geländer und ließ seinen Blick über
die angrenzenden Häuser und Bäume schweifen, die im Halbdunkel ineinander
übergingen. Er zündete sich eine Zigarette an.
„Das Halstuch“, sagte er laut. Es war mit einem Pionierknoten am Hals der
Leiche befestigt gewesen. Für Freiheit und Frieden, dachte er bitter und nahm
einen tiefen Zug.
14
Es war Sonntagmorgen, kurz vor zehn. Die dunklen Augen von
Helga Kramer sahen fragend in den Besprechungsraum des Landeskriminalamts, in
dem alle durcheinanderredeten und niemand eine Antwort wusste.
„Ich verstehe nicht, was sie überhaupt in dem Park wollte.“
„Dreißig Sozialstunden, da lacht der doch drüber.“
„Direkt in den Hals, ob das Zufall war?“
„Irgendetwas übersehen wir.“
Clara griff abwesend in die Keksdose, die Hagen ihr hinhielt, und unterhielt
sich weiter mit Sven über Probleme von Anti-Viren-Programmen. Sven war
Spezialist in Überwachungsfragen und koordinierte den Einsatz im Stadtpark
Steglitz. Er war spindeldürr und trug eine Brille mit auffallend dicken Bügeln.
Immer wenn er sie ansah, beschlich Clara der Verdacht, es könnte eine Kamera
eingebaut sein. Sebastian schaltete sich in das Gespräch ein und meinte,
letztlich könne es keine absolute Sicherheit geben, wenn man an der modernen
Kommunikation teilhaben wollte. Clara und Sven nickten. Sebastian war ein Mann
mit weißen Haaren und großen Händen, der die Zeugenbefragungen leitete.
Sebastian hatte in den 80ern ein paar Semester Philosophie studiert, und immer,
wenn sich die Gelegenheit ergab, sprach er über die Frage, woher das Böse in
der Welt kam.
Es klirrte. Leonhard stemmte eine Kiste mit kleinen, blauen Wasserflaschen auf
den Tisch. Plötzlich blickten alle auf.
Die Tür ging auf. Kranich und Johannes Teufel traten ein, alle setzen sich,
Stühle scharrten, es wurde still.
„Hallo“, sagte Kranich ohne Pathos und begrüßte die Runde. Sie sah müde aus.
„Fangen wir gleich an. Mittlerweile haben sich also zwei Ermittlungsansätze
herauskristallisiert.“
Sie deutete auf die Wandtafel und nickte Leonhard zu, der ihre Vorgaben
übersichtlich umgesetzt hatte. „Der erste und momentan vielversprechende Ansatz
betrifft die Gruppe um Raul Malik.“
Das Foto zeigte einen breiten, unförmigen Schädel mit einer affektierten Rasur.
Raul Malik hatte versucht, seinem Gesicht Kontur zu geben, indem er die
Kieferknochen mit einem Streifen dunkler Haare betonte. Es war der dritte junge
Mann, der seitdem so rumlief: Der Massenmörder von Utoö in Norwegen war
offensichtlich zu einem Stilvorbild für Männer geworden, die ihre stumpfe
Gewalt zu etwas Bedeutendem zu überhöhen
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