Auserwaehlt
krass?“
„Das muss nichts bedeuten. Geheimnisse gibt es in jeder Familie“, sagte Hagen.
Clara nickte. Im Zuge einer Ermittlung kamen die meisten davon zutage und
hinterließen Verheerungen, mit denen die Hinterbliebenen fertig werden mussten.
Die meisten wurden es nicht.
„Soll ich weiter ausführen?“, fragte Clara an Kranich gewandt.
„Gleich.“ Kranich sah den Rechtsmediziner an. „Zuerst Johannes. Dein Bericht,
bitte.“
Teufel erhob sich steif. Von fünf Uhr morgens bis kurz vor zehn war er im Seziersaal
gestanden. Er kam sich vor wie tiefgefroren.
„Wie vermutet war die Kopfverletzung nicht die Todesursache.“ Er ging auf die
Wandtafel zu. „Helga Kramer starb an der intramuskulären Injektion.“ Mit einem
Kugelschreiber tippte er auf das vergrößerte Einstichloch. „Das Gift wurde
direkt in den Halsmuskel gespritzt. Es handelt sich um ein hochmolekulares
Proteingift, das nicht hämolytisch wirkte, also Blut zersetzend, sondern zu
einem Herzstillstand führte.“
„Sie ist an einem Herzstillstand gestorben?“
Teufel nickte. „Vom Eintreten des Giftes in ihren Körper bis zum Tod durch
Herzstillstand lagen drei bis vier Stunden.“
„Drei bis vier ...?“ Clara schüttelte den Kopf. „Das ist ungewöhnlich lang.“
Teufel sah Clara an.
„Ungewöhnlich ist noch etwas“, sagte er. „Das Gift wurde nicht synthetisch
hergestellt.“ Er räusperte sich. „Es stammt von einem Lebewesen, von einem
Tier. Das Labor muss meinen Verdacht zwar noch bestätigen, bevor ich ...“
„Ein Tier?“ Kranich sah auf. „Was für ein Tier?“
Teufel stand direkt unter der Lampe. Seine Narben traten deutlicher hervor als
sonst.
„Ein Steinfisch“, sagte er schließlich. „Das Gift stammt von einem Steinfisch.“
Gemurmel ging durch den Raum, jemand hustete.
„Ein Steinfisch? Bist du sicher?“ fragte Kranich.
Teufel schüttelte den Kopf. „Wie gesagt, das Labor muss es noch bestätigen. Der
Schnelltest ist nicht hundert Prozent, aber das Enzym Hyaluronidase weist in
Kombination mit den zu beobachtenden Organzerstörungen und körperlichen
Merkmalen in diese Richtung.“ Er nickte. „Stonus-Toxin.“
Stonus-Toxin? Clara starrte auf ihre Hände.
Als sie wieder aufblickte, stand Kranich über den Tisch gebeugt wie eine
Hundertmeterläuferin am Start.
„Ein Steinfisch“, stellte die Hauptkommissarin fest. „Gibt es das Gift etwa zu
kaufen oder muss man den Fisch erst ... melken?“
„In der kurzen Zeit hab ich nur Allgemeines herausgefunden.“ Er zog ein Blatt
Papier aus der Hosentasche, streifte es glatt und pinnte es an die Wand.
Eine unförmige graue Gestalt blickte sie an. Sie hatte sich perfekt an den Hintergrund
angepasst und wäre unsichtbar geblieben, wenn nicht ihr grotesker
Gesichtsausdruck sie verraten hätte. Es war das Gesicht eines traurigen Smilies.
„Ist das mit Photoshop gemacht?“ Sven traute seinen Augen nicht.
„Anscheinend nicht.“ Teufel massierte sich den Nacken.
„Ein Steinfisch verfügt über eine ausgezeichnete Tarnung“, Teufel bewegte sich
aus dem Licht heraus. „Sie haben die gleiche Farbe und Struktur wie der Grund,
in dem sie sich aufhalten, sie sind grau-braun, ohne Schuppen und zum Teil mit
Algen bewachsen. Bevorzugt halten sie sich im ufernahen Seichtwasser auf. Im
Rücken haben sie einen Stachel, der über Druck auf die Giftdrüse das Gift
absondert.“
Er blickte wieder zu Clara. „Steinfische gehören zu den giftigsten Fischen
weltweit. Sie sind keine Jäger, sondern lauern ihren Opfern auf. Wenn man auf
sie tritt, helfen selbst Badeschuhe nichts.“
„Helga Kramer wird ja kaum auf einen Fisch getreten sein“, bemerkte Kranich und
rieb sich die Schläfe.
Hagen und Sebastian lachten über den Witz.
„Was ich sagen will“, Teufel blickte in die Runde, „wir brauchen einen Toxikologen.
Auf die Schnelle hab ich nur gesehen, dass das Zeug in geringen Dosen auch in
der Anti-Aging-Medizin eingesetzt wird, das heißt, es gibt einen Markt.“
„Taugt das Zeug als Droge?“ Kranich blickte auf das Foto von Raul Malik. „Irgendwelche
Glücksgefühle, während man stirbt?“
Kranich lächelte Teufel mit den Augen zu.
„Man müsste es ausprobieren“, sagte der. „Ganz im Ernst: Ich weiß es nicht.“
„Wie sieht es mit einem Gegengift aus?“, meldete sich Hagen.
„Innerhalb der ersten dreißig Minuten hilft heißes Wasser, wie bei jedem Eiweißgift,
dann zersetzt sich die Substanz von allein und kann leichter abgebaut werden. Ansonsten
wirken Stoffe, die
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