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Auserwaehlt

Auserwaehlt

Titel: Auserwaehlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Nowak
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und ihm danach Abflussreiniger eingetrichtert.
Oral. Früher oder später wird er seine sadistischen Fantasien an einem Menschen
ausprobieren, das ist sicher. Irgendetwas kam ihm bei Helga Kramer dazwischen.
Vielleicht wollte er sie in den Keller seiner Mutter bringen, doch seine
Kumpels ließen das nicht zu.“
„Aber warum ausgerechnet Helga Kramer?“ Kranich sah den Profiler an.
„Zufall“, sagte Hagen. „Aber auch der Zufall hat System. Helga Kramer entstammte
dem Bildungsbürgertum. Sie trug einen Hosenanzug, eine weiße Bluse, eine
aufwendige Frisur, der distinguierte Gesichtsausdruck.“
Die Unruhe wuchs.
„Was ich meine“, er strich sich über die Krawatte. „Helga Kramer repräsentiert
etwas, das der Täter hasst. Ich formuliere es mal ganz allgemein: eine
Exklusivität, ein Leben, von dem er ausgeschlossen wurde. Hass auf das eigene,
verfehlte Leben. Das ist sein Motiv.“
„Möglich“, sagte Kranich, erhob sich und das Gemurmel verstummte. „Aber wir
sollten nicht vergessen, dass Helga Kramer bereits vorab bedroht wurde. Jemand
hat ihr Nachrichten in Bücher hinterlegt und per E-Mail geschickt. Rückblickend
sind die roten Zettel alles andere als ein harmloser Scherz.“
„Ich bin auserwählt!“ Es zischte, als Kranich eine Flasche Wasser öffnete. „Was
haltet ihr davon?“
„Die Zettel widersprechen meiner Theorie“, gab Hagen zu. „Aber der Satz ist
nicht das Produkt eines Durchschnittshirns, soviel steht fest.“
„Sendungsbewusstsein ist in 90 Prozent ein Fall für die Klinik.“ Clara hob die
Hände, als müsse sie sich dafür entschuldigen.
„Aber kann der Mörder damit nicht auch das Opfer gemeint haben?“, fragte jemand
aus der letzten Reihe. Es war der Spurenermittler von gestern, dessen Augen
auch bei der nach hinten dunkler werdenden Innenbeleuchtung nicht lebendiger
aussahen. „Also dass nicht er, der Mörder, sondern sein Opfer auserwählt ist,
äh ... zu sterben.“
Clara musste sich zwingen, ihn anzusehen, so groß war ihre Abneigung. Aber wenn
Margot ihm vertraute, wollte das was heißen.
„Die Ambivalenz ist da“, antwortete sie. „Letztlich ist das aber egal. Wenn jemand
einen Menschen dafür auswählt, zu sterben, dann hält er sich selbst auch für
auserwählt, für einen Gott. Die Botschaft ist ein Bumerang. Am Ende kommt sie
zum Täter zurück.“
„Ach so“, räusperte sich Leonhard. „Lilly hat vorhin noch eine Mail geschickt.
Die IP-Adresse gehört zu einem Internetcafé in Berlin. Rosenthaler Platz.“
Im Raum wurde es wieder unruhig.
„Ruhe.“ Kranich erhob sich polternd. „Das wird überprüft!“ Sie sah ihre Leute
an. „Der Park wird weiter überwacht, ebenso Malik und die Lechmeiers. Wir
prüfen sämtliche Einbrüche in Apotheken, Krankenhäuser et cetera ... Dann
werden wir ja sehen. Alles andere bleibt bloße Spekulation.“
Kranich suchte Blickkontakt zum Polizeisprecher, der sich die ganze Zeit hinter
seinem Laptop versteckt hatte. „Wir geben jetzt das Foto des Opfers an die
Presse. Wer hat die Frau zwischen neunzehn und null Uhr gesehen? Alleine oder
in Begleitung? Dann der übliche Text, sachdienliche Hinweise direkt an mein
Büro, bitte.“
Der junge Mann nickte stumm, blickte auf die Uhr, und machte sich an die
Arbeit.

15
    „Was ist?“ Teufel musterte seine Kollegin. „Du verschweigst
doch etwas.“
„Wie kommst du darauf?“
„Nun sag schon.“
„Wie soll ich sagen.“ Kranich zündete sich eine Zigarette an, hielt ihm das
Päckchen hin.
Teufel nahm eine.
„Die Vergangenheit nimmt zu“, sagte sie schließlich und nahm einen Zug. „Die
Zukunft ab.“
Teufel ließ sich Feuer geben.
„Gestern Abend, zum Beispiel.“ Sie blickte ihn an. „Ursula und Clara waren da
und ich dachte“, sie blies Rauch aus und machte eine Pause. „Ich dachte, was
für eine schöne Zeit das doch war, als wir so zusammengesessen sind und über
die Fälle gesprochen haben.“
„Verstehst du?“ Sie sah nicht weg. „War! Als säße ich vor einer Leinwand und
sähe meinem Leben zu, wie es Revue passiert.“
Teufel sah ihr forschend in ihre Augen. „Ganz ohne Grund?“
Sie zuckte mit den Schultern und inhalierte den Rauch.
„Das sind Phasen“, sagte er schließlich. „Wir werden nicht jünger, Margot, aber
man sollte darüber nicht depressiv werden.“
„Hältst du mich etwa für depressiv?“ Missmutig spannte sie ihren Bizeps an.
Feste, klare Konturen zeichneten sich ab.
„Ich finde, wir sollten mal wieder gut essen gehen.“ Er paffte.

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