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Auserwaehlt

Auserwaehlt

Titel: Auserwaehlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Nowak
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hingegen ist es egal, welchen Rentner er erschlägt
und welches Kind er missbraucht, es geht ihm allein um die Befriedigung seiner
Sucht respektive zwanghaften Lust, jemanden vernichten zu müssen. Ich bezeichne
diese Morde als Zwangstaten, weil die aus einem inneren Zwang heraus erfolgen.
Beziehungstaten sind Tragödien! Zwangstaten sind vermeidbar! Das ist meine
Botschaft. Denn Zwangstäter können wir erkennen, bevor sie zuschlagen: 96
Prozent aller Zwangsmorde werden von Tätern begangen, deren Biografien sich so
sehr ähneln, dass es ein Skandal für unser bisheriges Präventionssystem ist.
Aufgrund meiner langjährigen Erfahrung als Kriminalpsychologe vertrete ich die
Überzeugung, dass über 80 Prozent aller Gewaltverbrechen im Vorfeld hätten verhindert
werden können. Brauchen wir also ein neues System der Prävention? Hagen musste die Zeit bis zum Verhör nutzen, sein Buch sollte nächstes Jahr
erscheinen und ihm fehlten noch Fallanalysen. Details konnte er später immer
noch ändern.
Der 24-jährige Raul Malik wurde im Jahre 2012 wegen Mordes an einer
62-jährigen Lehrerin zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Bis zum Zeitpunkt
seiner Verhaftung hatte er nachweislich mehr als zehn Tiere gequält,
vergewaltigt und getötet.
Die Akte beim Jugendamt über die Familie Malik spricht Bände: Die Mutter wurde
mit 17 Jahren schwanger, brach daraufhin die Ausbildung zur Friseurin ab,
kellnerte und wurde kurz darauf von einem anderen Mann wieder schwanger. Der
Vater von Raul Malik erkannte die Vaterschaft zwar an, lebte allerdings mit
einer neuen Frau zusammen und kümmerte sich kaum um den Sohn. Den
Unterhaltszahlungen konnte der Langzeitarbeitslose nicht nachkommen. Die
eigentliche Bezugsfigur war der Bruder der Mutter, der auf einem Bauernhof in
Brandenburg lebte. Er kam sogar mehrfach nach Berlin, um sich als Babysitter
zur Verfügung zu stellen.
Kinderärzte und Erzieher wiesen wiederholt auf die allgemeine Vernachlässigung
des Säuglings, Kleinkinds und Schulkinds hin. Konstatiert wurde ein schlechter
körperlicher Gesamtzustand, Verzögerung der geistigen Entwicklung, erhebliche
Defizite beim Spracherwerb. Erst nach Jahren stellte sich aufgrund der
hartnäckigen Intervention einer Lehrerin heraus, dass der Onkel die Kinder
sexuell missbraucht hatte. Raul Malik war den Übergriffen und teilweise
sadistischen Quälereien seines Onkels über Jahre schutzlos ausgeliefert
gewesen. Auf dem Gang waren Stimmen zu hören.
Kurz vor Einsetzen der Pubertät verändern sich die meisten der gequälten
Kinder auffällig. So auch Raul Malik. Er begann, die Schule zu schwänzen, zog
sich immer mehr zurück, isolierte sich von Gleichaltrigen und wurde zum notorischen
Lügner. In dieser Zeit begann er, Tiere zu quälen und zu töten. Mit Einsetzen
der Pubertät kommt dann der sexuelle Aspekt hinzu, sodass er an einigen Tieren
sexuelle Handlungen durchführte. Man kann davon ausgehen, dass es nur eine
Frage der Zeit ist, bis er die an den Tieren durchgeführten sexuellen
Misshandlungen an einem Menschen ausprobieren wird. Eine kriminelle Karriere
funktioniert nach demselben Prinzip wie die berufliche: Man fängt klein an,
quält schutzlose Opfer wie Tiere und Kinder, und schreitet zu den großen Taten
voran. Hagen grübelte. Er fand die Formulierung noch nicht gelungen.
Bei Raul Maliks erstem menschlichen Opfer, einer 62-jährige Lehrerin aus
Leipzig, konnte allerdings kein sexueller Missbrauch oder sadistische Handlungen
nachgewiesen werden. Bedeutet das jedoch, dass er ungefährlich ist? Nein. Es
liegt nahe, dass der Täter bei der Durchführung seiner Tat gestört wurde und so
seinen ursprünglichen Tötungsplan nicht realisieren konnte. Das ist bei
Ersttätern nicht selten. Vor Gericht werden sie dann für eine Tat bestraft, die
sie so nicht begehen wollten. Während sie ihre Strafe absitzen, schreien ihre
unbefriedigten Gefühle weiterhin nach Realisation. So kommt es zu den
erschreckend hohen Rückfallquoten. Bereits im Juli 2012 hatte ich Gelegenheit,
mit Raul Malik in der Untersuchungshaft zu sprechen und wurde dabei
eindringlich über die Hoffnungslosigkeit aller folgender Therapieversuche
belehrt.
Van Velzen: Mit vierzehn Jahren haben Sie auf dem Bauernhof ihres Onkels ein
Schaf penetriert und danach getötet, indem sie ihm Abflussreinigungsgel
eintrichterten. Was haben sie dabei empfunden? Malik :
Ich weiß nicht. Glück?
Glück? Hat er wirklich Glück empfunden? Hagen wischte sich den Schweiß von der
Stirn.

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