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Auserwaehlt

Auserwaehlt

Titel: Auserwaehlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Nowak
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an Bismarck, wie er ihr einmal gestanden hatte. Neben Kiontke stand
ein jüngerer Polizist, auch er trug einen Oberlippenbart, wenn auch schmaler
und dünner.
„Wir haben alles gelassen, wie es war“, versicherte Kiontke und reichte ihr
seine große, kräftige Hand. Die Hand war rot.
„Guten morgen, Frau Hauptkommissarin.“
„Morgen“, nickte Kranich. Ihr Blick suchte den Wegesrand ab. Die Frau, die
seitlich im Gras lag, hatte lange, dunkle Locken, die gebräunten Beine wirkten
trainiert. Sie trug ein rotes Sommerkleid.
Kranichs Herz schlug schneller. Clara?
Der Rock war verrutscht, man sah den Po und die Oberschenkel, alles war mit
blauen Flecken übersät. Kranich ging um die Tote herum. Sie musste das Gesicht
sehen.
Die schwarzen Augen waren weit aufgerissen, als hofften sie noch immer auf
Hilfe. Das Gesicht war verfärbt. Es war jünger und voller als das von Clara.
„Margot?“
Kranich drehte sich um. Johannes war mit der Spurensicherung angekommen, doch
sie hatte es nicht bemerkt.
„Johannes.“ Sie spürte seine Hand auf ihrem Arm. „Gut, dass du da bist.“
Lautlos verteilten sich die weiß gekleideten Figuren der Spurensicherung auf
dem Gelände und taten ihre Arbeit. Auch Kranich und Teufel legten Schutzkleidung
an. Johannes beugte sich über die Tote. Schweigend sah Kranich ihm zu.
Am Haaransatz klaffte eine Wunde. Das Blut war über die Stirn nach unten
gelaufen, sammelte sich in der majestätisch geschwungenen Augenbraue und
verschwand über die Schläfe im Boden. Es war fast schwarz.
Die Wunde sah aus, als sei sie von einem dumpfen Gegenstand am Kopf getroffen
worden. Zwei Meter weiter lag ein Ast auf dem Boden. Etwas Blut klebte daran.
Jemand hatte ein Schild mit einer Zahl in den Boden davor gesteckt. Der
Fotograf hielt es fest. Ein weißes Damenrad der Marke „Prophete“ stand am
Wegesrand. Es wurde mit Puder und Klebestreifen auf Fingerabdrücke untersucht.
Im Fahrradkorb lag eine schwarze Laptop-Tasche. Jemand nahm sie heraus.
Etwas stimmt hier nicht. Es ist nicht genug Blut. Schon wieder nicht. Das Klicken der Kamera, das Zwitschern der Vögel, die knarzige Stimme von
Kiontke.
Kranich schielte auf den Hals der Toten. Er war makellos.
„Tut mir leid, ich darf niemanden durchlassen“, hörte sie Kiontke.
Kranich drehte sich um. Es war Hagen.
„Ist schon gut“, rief sie dem Beamten mit dem Schnauzbart zu. „Der gehört zu
mir.“
Hagen kam mit energischen Schritten auf sie zu, doch als er die Tote sah, zögerte
er. Auf seinem Gesicht erschien dieselbe Ungläubigkeit, die auch Kranich beim
Anblick der Leiche erfasst hatte. Er ging näher. Dann ging er zur Routine über.
„Ein Raubüberfall?“ Auch Hagen klang wenig überzeugt. Er fuhr sich mit beiden
Händen über den frisch rasierten Schädel, fünf Millimeter.
Kranich schwieg. Sie beobachtete Johannes, der die Tote jetzt von der Seite auf
den Rücken drehte. Der Arm, auf dem sie gelegen hatte, war übersät mit
Totenflecken und Kratzern. Das Knie sah aus, als ob es zertrümmert worden wäre,
formlos und dunkel sackte es in sich zusammen, anstatt sich zu erheben.
„Sie muss sich ganz schön gewehrt haben.“ Teufel verzog wütend das Gesicht.
„Dieses gottverdammte Schwein.“ Der Rechtsmediziner sprang auf, ballte die
Fäuste und blickte wild in die Runde. „Sie ist noch keine vier Stunden tot.“
Kranichs Magen krampfte sich zusammen.
„Ihr Name ist Stella Krefeld.“ Zwei steingraue Augen richteten sich auf Kranich.
Es war Richard. Sie hörte dem Spurenermittler aufmerksam zu. „26 Jahre,
wohnhaft in Berlin Mitte, Rosenstraße 6. Das Portemonnaie war in der Tasche,
alle Papiere sind noch da, die Karten, auch das Geld. Auf ihrem Handy sind
zwischen 22 und null Uhr über zehn Anrufe eingegangen, wir checken gerade die
Nummer.“
„Alles noch da?“ Hagen rieb sich das Kinn.
„Vergewaltigung?“ Er sah auf das rote Kleid, das nach oben gerutscht war. Die
Frau trug einen schwarzen Tanga, der in der Spalte zwischen ihren Pobacken
verschwand.
„Eher nicht.“ Teufel hatte sich wieder neben die Tote gekniet. „Aber auszuschließen
ist es nicht.“
Teufel fuhr mit einem langen Wattestäbchen über den Oberarm der Toten. Unter
der dünnen, braunen Dreckschicht kam ein Bluterguss von der Größe einer
Briefmarke zum Vorschein.
„Margot!“ Teufel blickte auf. Er suchte die Augen von Kranich und deutete auf
das schwarze, kleine Einstichloch im Zentrum des Blutergusses.
„Eine Injektion“, murmelte er und fuhr zärtlich über die

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