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Auserwaehlt

Auserwaehlt

Titel: Auserwaehlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Nowak
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drehte sich zur Wand. Sie konzentrierte sich auf das, was sie sah:
Die Wand war mit Kacheln bedeckt, es waren weiße Kacheln. Die Fenster waren aus
Milchglas, das Licht, das hereinströmte, war bläulich. Ein paar Müllsäcke lagen
auf dem Boden. Sie waren blau. Weiter oben in der Ecke war ein Monitor, das
Licht auf dem Bildschirm leuchtete. Blau. Am Nebentisch steckte jemand einen
Stecker in die Steckdose. Es war der Stecker einer Kreissäge.
Nicht! wollte sie schreien, als ein junger Arzt die Säge an den Schädel eines
Kindes ansetzte. Da ging das Ding schon los.
Nein, nicht! Clara drehte sich panisch weg. Sie starrte auf die Naht, die unterhalb von
Stellas Kinn begann und an ihrem Schambein endete. Die Naht war mit groben
Kreuzstichen verschlossen worden. Teufel trug eine Art Spachtelmasse auf, um
die größten Löcher zu schließen.
„Eigentlich unnötig, aber ...“
Die Säge heulte auf, als sei sie auf einen Widerstand gestoßen. Clara hob die
Hand, als wollte sie etwas sagen, dann verschwand sie im Nebenraum.
Teufel hörte, wie sie sich übergab.
„Geht's wieder?“, fragte er, ohne aufzusehen.
„Oh man.“ Clara zitterte. Im Unterschied zu den meisten Polizisten hatte sie
noch nie ein Problem damit gehabt, bei einer Obduktion anwesend zu sein.
Was ist nur mit mir los? „Wenn man jemanden kennt, ist es immer etwas anderes.“ Teufel schaltete das
harte, weiße Licht aus. Die Kreissäge war verstummt. „Als meine Mutter starb,
wollte ich die Obduktion selbst vornehmen, da ich mir nur dann sicher sein
konnte, dass sie eines natürlichen Todes gestorben war.“ Seine blauen Augen
ruhten auf Clara. „Doch meine Hand weigerte sich.“
Er hielt die Hand in die Luft, schlaff wie die Hand einer Marionette hing sie
herab.
„So etwas habe ich noch nie erlebt.“ Er bedeckte die Tote wieder mit dem Tuch.
„Ich wollte, aber es ging nicht. Als ob meine Hand einem anderen gehörte. Ich
habe einen Kollegen gebeten, den ersten Schnitt zu machen, danach ging's
einigermaßen.“
Clara nickte. Nachdem sie sich übergeben hatte, fühlte sie sich besser.
„Aber am nächsten Tag schwoll meine Hand auf die Größe einer Honigmelone an,
die Entzündung dauerte Wochen, am Ende war nicht klar, ob ich die Hand jemals
wieder gebrauchen konnte.“
„An was ist sie gestorben?“ Clara wollte ihren Kopf auf Johannes Schulter legen,
doch sie traute sich nicht.
„Am Herzen.“ Teufel starrte auf die Handbrause in seiner Hand, als habe er
vergessen, was er damit wollte.
„Wie kannst du hier arbeiten?“, flüsterte Clara. „Wenn ich das sehe, dann
könnte ich ...“
Teufel sah sie prüfend an. Da war es wieder. Er hatte diese Entschlossenheit in
ihren Augen sofort erkannt, von Anfang an. Anders als die meisten konnte Claras
freundliche Art und ihr Äußeres ihn nicht täuschen. Clara war eine Killerin.
Sie hatte die Augen seiner Mutter. So wie er.
„Du musst lernen, das zu beherrschen“, sagte er nur.
Er wusch sich die Hände. Er drehte die Handflächen ineinander, er spreizte die
Finger, er reinigte die Zwischenräume und zuletzt den Handrücken.
„Ich glaube, es geht ihr gut da, wo sie jetzt ist“, sagte er, während er seine
Hände abtrocknete.
„Wer immer das getan hat“, er reichte Clara das Handtuch und deutete an, sie
solle sich den Mund abwischen. „Für jedes Haar, für jede Wimper, für jede Faser
ihres Körpers wird er büßen. Für jeden Atemzug, den sie nicht mehr tut. Wer so
etwas zerstört, muss büßen!“
Clara sah ihn an. Seine blauen Augen waren hart.
„Ich arbeite nur deshalb hier, damit solche Leute gefasst werden. Das ist mein
einziger Trost.“ Sie sahen sich noch immer an. „Das ist meine Obsession.“
„Aber du musst dich kontrollieren, Clara“, sagte er. „Nur wenn du dich kontrollierst,
wirst du eine Gute.“
„Eine gute Polizistin.“ Er legte den Arm um ihre Schulter.

25
    „Stella Krefeld starb an einem Herzstillstand, verursacht
durch die intramuskuläre Injektion in ihrem rechten Oberarm. Die Kopfverletzung
war nicht die Todesursache. Das Labor hat unseren Verdacht bestätigt. Es
handelt sich um Stonus Toxin, aufbereitet mit Koffein, Alkohol und
Medikamenten. Die Zusammensetzung der einzelnen Komponenten variiert leicht im
Vergleich zu der Giftmischung, an der Helga Kramer gestorben ist. Meines Erachtens
zeigt das, dass der Täter die Mischung selbst herstellt. Es handelt sich um
einen professionellen Laien, würde ich sagen.“
Die Sonderkommission „Steinfisch“ war angewachsen.

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