Auserwaehlt
sie.
„Es wird eine Hysterie ausbrechen“, gab Schultze zu bedenken.
Die Hauptkommissarin starrte in ihren Kaffee. „Ich bin bei der Ermittlung auf
Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen.“
„Ich sehe keinen anderen Weg.“ Margarete Knuppers verschränkte die Arme vor dem
Busen und lehnte sich zurück. „Die Presse wird umfassend informiert. Heute
noch.“
Die Polizeivizepräsidentin schenkte sich einen Kaffee ein. Schultze tat es ihr
gleich.
„Gibt es etwas, das wir als Täterwissen zurückhalten sollten?“
„Margot?“ Die Knuppers wendete sich an die Hauptkommissarin.
„Was ist mit diesen roten Botschaften?“
Das scharfe Profil der Kommissarin bewegte sich nicht. Sie starrte durch das
Fenster in den blauen Himmel und sprach mehr zu sich selbst:
„Er legt sie in Bücher und schickt sie per Mail. Er warnt seine Opfer vor. Ja,
das ist es. Es ist eine Warnung! Das ist kein normaler Virus, das ist eine Todesdrohung!“
Plötzlich drehte sie sich um. Sie sah die Vizepräsidentin an und nickte.
„Ich bin auserwählt?“ Schultzes gedrungene Gestalt wippte vor und zurück.
„Wenn die beiden Opfer die Warnung verstanden hätten, würden sie heute noch
leben“, sagte Kranich.
„Möglich.“ Ursula von Lehndorf sah ihre Freundin an. Der Fall setzte ihr zu.
„Die Information ist auf jeden Fall wichtig, wir sollten sie nicht
verschweigen.“
„Okay.“ Die Knuppers machte sich Notizen. „Aber können wir das mit der Spritze
nicht verschweigen?“
Kranich schüttelte den Kopf. „Den Stein in der Vagina.“
„Wie bitte?“
„Den könnten wir verschweigen“, sagte sie und erklärte: „Der Täter hat ihr, da
war sie vermutlich schon tot, einen Stein in die Vagina eingeführt. Diese Information
halten wir zurück.“
Die Knochen knackten, als Schultze seine kleinen, dicken Finger durchbog. „Ich
hab die Schnauze so voll von all diesen Perversen und Irren!“
Er richtete seinen Blick direkt in die schwarzen Augen der Hauptkommissarin.
„Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie voll ich die Schnauze habe, Margot.“
Kranich nickte nur. Sie starrte in den blauen Himmel hinaus. Schultze war seit
über vierzig Jahren im Dienst und sie wusste, was er meinte.
24
Gegen 12 Uhr Mittag erreichte Clara den Totensaal.
Totensaal. Teufel sagte das immer. Clara stieß die Tür mit dem schweren
Eisengriff auf. Ein stechender Alkoholgeruch schlug ihr entgegen, sie blinzelte
gegen das Neonlicht.
„Also bis nachher“, sagte Teufel zu einem Mann, den Clara nur vom Sehen kannte.
Irgendein Anwalt. Sie warteten, bis er den Raum verlassen hatte. Auch Margot
und Ursula waren bereits wieder fort.
„Clara?“ Er lächelte, als habe er mit ihr gerechnet. Das Neonlicht brannte die
Narben tiefer in sein Gesicht.
Auf dem Seziertisch lag eine lange, zierliche Gestalt. Teufel bedeckte sie mit
einem blauen Tuch, als Clara näher kam. Rund um die Edelstahlplatte, auf der
Stella lag, war ein Graben, damit Blut und andere Flüssigkeiten ablaufen
konnten. Zu Claras Erleichterung war alles sauber.
„Du kommst spät.“
„Ich weiß“, flüsterte sie. An den beiden hinteren Tischen wurde noch gearbeitet.
Ihr Zeigefinger berührte den kalten Edelstahl. Sie hätte den Gedanken tröstlich
gefunden, wenn er warm gewesen wäre.
Ich rieche das Blut. Plötzlich musste sie würgen. Ein kurzer Reflex, dann war es wieder vorbei.
Entschuldigend blickte sie zu Johannes. „Sonst macht mir das nichts aus, aber
irgendwie ...“
„Es geht dir nahe“, sagte Teufel. „Das ist normal.“
Clara starrte auf das weiße, schmale Gesicht. Es war gewaschen worden. Die
Lippen waren dunkelblau.
Stella Krefelds Eltern besaßen ein italienisches Restaurant in Spandau. Als sie
vom gewaltsamen Tod ihrer Tochter erfahren hatten, ihrer schönen, lebensfrohen
und begabten Tochter, hatte Clara zum ersten Mal mit ansehen müssen, wie der
Schock Gesichter tilgte. Die schwarzen, glänzenden Augen der Mutter erloschen
in Sekunden, sie schrie, als müsse sie verbrennen. Der Vater versteinerte
stumm. Als Clara ging, konnten sich beide nicht mehr bewegen.
„Es macht mich so wütend.“ Clara streichelte der Toten über die Wange.
Teufel schwieg.
„Sie wollen sie sehen.“ Das blaue Tuch bedeckte die Füße nicht. An den großen
Zehen hatte jemand den Nagellack entfernt. „Ich denke, sie sind in vierzig
Minuten da.“
„Dann mach ich noch schnell die Kosmetik.“ Teufel blickte Clara prüfend ins
Gesicht, bevor er das Tuch wegnahm.
Ich kann das Blut noch riechen. Clara
Weitere Kostenlose Bücher