Auserwaehlt
Johannes Teufel ließ seinen
Blick über die zwanzigköpfige Mannschaft gleiten, die sich im Besprechungsraum
des Landeskriminalamts versammelt hatte. Alle hörten ihm zu.
„Kratzspuren, Hautabschürfungen und Hämatome weisen auf einen Kampf zwischen
Täter und Opfer hin. Stella Krefeld hat sich mehrere Einstiche an den
Handflächen zugezogen, als sie versucht hat, die Spritze abzuwehren. Der Täter
hat ihr das rechte Knie zertrümmert, als sie versucht hat, zu fliehen. Da war
Stella Krefeld bereits stark geschwächt durch das Gift. Er hat dafür denselben
Ast benutzt, von dem auch die Kopfverletzung stammt.“
Jemand hustete.
„Leider konnte bisher kein artfremdes Gewebe isoliert werden, der Täter trug
mit hoher Wahrscheinlichkeit Handschuhe und Schutzkleidung.“
Teufel machte eine kurze Pause.
„Außerdem,“ Teufel wich Claras Blick aus, während er fortfuhr. „Außerdem war
ein Stein in die Vagina der Toten eingeführt worden. Das umliegende Gewebe
wurde dabei nicht verletzt. Entweder hat er sie gezwungen, es selbst zu tun,
oder er hat den Stein post mortem eingeführt.“
Niemand sagte etwas.
„Bei dem Stein handelt es sich um einen Glücksstein aus China. Es ist ein ovaler,
zwei Zentimeter breiter und drei Zentimeter hoher Flusskiesel mit eingraviertem
chinesischen Schriftzeichen. Das Zeichen ist ein Symbol für Liebe.“
Gemurmel hob an.
„Liebe?“ Kranich schnaufte verächtlich. „Aber sonst gab es keine sexuellen
Übergriffe?“
„Keine Penetration, weder oral, anal noch vaginal“, bejahte Teufel. „Als sie um
sechs Uhr zwanzig gefunden wurde, war sie erst drei Stunden tot, höchstens
vier.“
Im Raum wurde es unruhig.
„Wir haben bereits einen wichtigen Zeugen“, Kranich sprach laut. „Herr
Drechsler von der Eingangskontrolle der Staatsbibliothek Potsdamer Straße sagt
aus, Stella Krefeld habe gestern Abend gegen zehn vor neun die Bibliothek
verlassen. Und zwar alleine. Stimmt das, Sebastian?“
Der Mann mit den weißen Haaren nickte. „Herr Drechsler ist sich ganz sicher.
Stella Krefeld war eine auffällige Erscheinung, fast alle Angestellten der Bibliothek
erinnern sich an sie.“
„Um halb zehn war Stella Krefeld mit ihrer Freundin Judy Anspach im Biergarten
Schleusenkrug verabredet“, fuhr Kranich sachlich fort. „Alle Anrufe auf dem
Mobiltelefon des Opfers von gestern Abend stammen von Judy Anspach. Denn Stella
Krefeld kam nicht im Biergarten an. Ihr Fahrrad konnte am Fahrradständer der
Staatsbibliothek sichergestellt werden. Es war nicht verschlossen. Der
Hinterreifen war manipuliert worden, ein 2 Zentimeter glatter Schnitt ging
durch Mantel und Schlauch.“
Kranich und Clara waren den Punkt mehrmals durchgegangen.
„Wir gehen davon aus, dass der Täter den Reifen manipuliert hat.“ Die Augen der
Hauptkommissarin blickten durch alle hindurch. „Er spricht sie an. Er bietet
seine Hilfe an. Sie kommen ins Gespräch. Sie fasst Vertrauen, sie ist ohnehin
kein ängstlicher Typ, also nimmt sie sein Angebot an, dass er sie mit dem Auto
zur Verabredung fährt.“
„Im Blut des Opfers ließ sich eine geringe Dosis an Halothan nachweisen“,
übernahm Teufel. „Halothan ist ein Inhalationsnarkotikum, das im Blut recht
schnell an- und abflutet, weshalb es als Narkosemittel besonders geeignet ist.
Heute wird es allerdings nur noch in der Tiermedizin verwendet.“
„Er betäubt sie, indem er ihr ein Stück Stoff auf Mund und Nase presst. Er
bringt sie an einen Ort, von dem wir bisher noch kaum etwas wissen“, so Kranich
wieder. „Dort hält er sie über mehrere Stunden gefangen, bevor er sie dann in
dem Park aussetzt und ihr den Schlag mit dem Ast versetzt. Wir müssen von vier
bis sechs Stunden ausgehen, die das Opfer in seiner Gefangenschaft war.“
„Warum das mit dem Ast? Wollte er einen Raubmord vortäuschen?“ fragte jemand
aus der letzten Reihe.
„Möglich.“ Kranich und Clara hatten das inzwischen wieder verworfen. „Vielleicht
wollte er aber auch einfach sichergehen, dass das Opfer nicht doch noch mal
wegläuft.“
„Wann genau hat er ihr das Stonus Toxin gespritzt? Kann man das rekonstruieren?“
fragte Hagen.
„Ziemlich am Anfang“, antwortete Teufel. „Ich vermute, sobald er sie in das
Versteck gebracht hatte, kurz nachdem sie wieder zu sich kam.“
Er tauschte einen Blick mit Kranich. „Er hätte ihr das Gift verabreichen können,
als sie noch betäubt war. Das wäre für ihn einfacher gewesen, sie hätte sich
nicht wehren können.“ Er zögerte. „Doch
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