Auserwaehlt
eine
Filmschauspielerin aus den 20ern, das dunkle Haar in Wellen gelegt, die Lippen
wirkten fast schwarz. Teufel ging in die Küche.
Als er fünf Jahre alt war, hatte er aufgehört, ein Kind zu sein. Sie wohnten
damals in einem kleinen Bauernhaus am Schwarzen Meer, in der Nähe von
Konstanza, in einem kleinen Haus mit niederen Decken. Der Mann, der auch dort
gewohnt hatte, war dunkel wie das Meer, wortkarg und brodelnd. Wenn er schrie,
zwinkerte ihm die Mutter heimlich zu, was die Ausbrüche des Mannes nicht
weniger bedrohlich machte, aber lächerlich. Eines Tages bemerkte der Mann das
Komplott und schlug der Mutter ins Gesicht. Außer sich vor Wut griff das Kind
nach dem Taschenmesser und rammte es dem Mann in die Wade, bevor es
davonrannte.
Teufel öffnete die Kühlschranktür.
Doch auf dem Hof hatte der Mann ihn gepackt. Er zog ihn in einen Schuppen und
begann, sein Gesicht mit der rostigen Schneide des alten Taschenmessers zu
bearbeiten.
Teufel nahm das kalte Schnitzel heraus und aß es im Stehen.
Er hatte die Bilder verdrängt, was dann genau passiert war, doch den dumpfen
Schlag, den hörte er noch heute. Alles, an das er sich erinnern konnte, war
seine Mutter mit dem Spaten in der Hand. Seine Mutter mit dieser Entschlossenheit
in den Augen. Die Augen seiner Mutter waren blau.
Teufel nahm ein Bier heraus, öffnete es und trank ein paar Schlucke.
Am nächsten Tag war er mit seiner Mutter nicht mehr in das Haus am Schwarzen
Meer zurückgekehrt. Sie waren in Bukarest geblieben. An der Oper spielten sie
damals den Fliegenden Holländer und seine Mutter die Rolle der armen Senta, die
sich am Ende vom Felsen stürzen musste, um den Seefahrer zu erlösen. Nach der
Vorführung erschien dann Vater mit einem Strauß Rosen, Mutter schminkte sich
gerade ab, die blauen Flecken wurden sichtbar. Noch am gleichen Abend sind sie
mit Vater nach München geflogen. Bis heute weigerte sich Johannes, den Mann vom
Schwarzen Meer „Vater“ zu nennen. Sein Vater war der Mann, der seine Mutter und
die klassische Musik liebte, der ihm ein Studium und eine sorgenfreie Jugend
ermöglicht hatte.
Teufel stellte das Bier zurück und schloss den Kühlschrank. Er musste einen
klaren Kopf behalten. Er würde ihn heute noch gebrauchen.
In Rumänien gibt es ein Sprichwort, dass man mit anderthalb Lügen um die ganze
Welt kommt. Seine Mutter hatte ihm einmal erklärt, da waren sie längst in
Deutschland, dass der Mann vom Schwarzen Meer nicht sein leiblicher Vater war.
Damals fiel eine Last von ihm ab, denn als Jugendlicher trieb ihn die Angst, er
könnte einmal genauso werden wie er.
Im Flur erwiderte er das Lächeln seiner Mutter. Heute wusste er, dass es eine
Lüge war. Manchmal spürte er das Schwarze Meer in sich, doch es machte ihm
keine Angst mehr.
Teufel sah die Post durch, die Susanne hingelegt hatte, und ging nach oben ins
Badezimmer.
Keiner wusste so gut wie er, dass man im dunklen Wasser nicht ertrinken musste.
Man konnte schwimmen lernen. Mann konnte ans Ufer gelangen. Das war es, was er
all den kaputten Gestalten zum Vorwurf machte, deren kranke Zerstörungswut er
tagtäglich auf seinem Obduktionstisch ansehen musste. Zweifellos hatten viele
von ihnen traumatische Kindheitserlebnisse. So wie er. Aber er hatte gekämpft.
Er ging in sein Schlafzimmer und sah wieder Stella Krefeld vor sich.
Dieser armselige, beschissene Wichser!
Teufel schleuderte sein Hemd in die Ecke und zog ein frisches vom Kleiderbügel.
Es roch dezent nach Weichspüler. Seine Verachtung für diese Typen wurde nur
manchmal durch die Frage irritiert, was aus ihm geworden wäre ohne seine
Mutter.
Er setzte sich aufs Bett, während er das Hemd zuknöpfte.
Am 17. Oktober vor acht Jahren hatte er sie das letzte Mal gesehen, es war der
Tag nach ihrem einundachtzigsten Geburtstag. Sie saß in dem Morgenmantel in der
Küche, den Vater aus Japan mitgebracht hatte, sie trug ihn wie immer eng um die
Taille gebunden. Ihre Nägel waren dunkelrot lackiert. Er sagte: „Guten Morgen.“
Seine Mutter sah ihn an. Dann brach sie zusammen.
Das war das letzte Mal, das sie ihn angesehen hatte.
Teufel öffnete die Tür zum Badezimmer. Susanne lag in der Wanne. Er wollte
Entschuldigung sagen und die Tür wieder schließen, doch sie sah ihn an und
sagte: „Du kannst ruhig reinkommen.“
Er trat ein. Die Spiegel waren beheizt. Sein Haar war noch immer schwarz,
zumindest zum Teil. Vater hatte er ausschließlich mit weißen Haaren gekannt. Er
war ein vornehmer Mann gewesen, die Haare
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