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Auserwaehlt

Auserwaehlt

Titel: Auserwaehlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Nowak
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seitlich gescheitelt, er trug immer
Hemden, eine Eigenart, die Johannes von ihm übernommen hatte, nur das
Seidentuch um den Hals ließ er weg. Teufel hatte ein Foto, das seinen Vater bei
einem Empfang in der Botschaft zeigte, der ältere Mann saß in der ersten Reihe
neben anderen Diplomaten. Alle trugen einen dunklen Anzug, alle hatten graue
Haare und trotzdem stach er heraus. Vaters Gesicht war feiner, strahlender,
seine Haltung aufrechter, als gehöre er einer höher entwickelten Spezies an.
„Hast du schon gegessen?“
„Ich muss noch mal los.“
Johannes trug Rasierschaum auf und setzte den Rasierer ans Kinn. Im Spiegel sah
er Susanne, die aus der Wanne gestiegen war, ihre nassen Haare unter einem
Handtuch-Turban, die Haut gerötet, mit nichts als einem großen Handtuch um den
Leib. Im Grunde war sie noch immer schön. Nur ihre Oberarme waren etwas schlaff
geworden. Doch im Grunde kam es darauf nicht an.
Susanne hielt die Augen geschlossen, während sie Creme auftrug.
„Du rasierst dich?“
„Ich muss noch mal los.“
Um 22 Uhr war eine Sitzung angesetzt. Das war nicht vollkommen ungewöhnlich,
bei komplexen Fällen holte Margot ihn manchmal mit ins Team. Es war nur schon
lange nicht mehr vorgekommen, da seine Arbeit als Rechtsmediziner Vorrang
hatte. Neben ihm prüfte seine Frau ihr Gesicht auf Alterserscheinungen, er kam
sich vor wie ein Verräter.
„Erinnerst du dich an die Leiche im Stadtpark?“
„Im Stadtpark?“
„Es gab eine zweite. Heute. Im Tiergarten.“
Sie nahm einen kleineren Tiegel aus dem Spiegelkästchen, öffnete ihn und trug
Creme rund um die Augen auf.
„Eine Serie?“
Er setzte den Rasierer an. Konzentriert zog er den Schaum ab. Irgendwann hatte
sich das eingeschlichen. Seit Jahren beantworteten sie die Fragen des anderen
nicht mehr oder nur noch stumm.
„Ich könnte kotzen“, hörte er Susanne. Er wusste vom Ton her, dass sie von
ihrer Arbeit erzählen würde. „Rita, das Aas, hat heute ihr Projekt vorgestellt.
IHR Projekt! Weißt du, wie lange ich sie bei dem Exposé beraten habe? Fast zwei
Wochen, ich dumme Kuh. Jetzt bin ich so alt und falle immer noch auf dieselben
Spielchen herein, aber warte. Von dem Megadeal, den ich an Land gezogen habe,
sieht sie nichts. Ich werde sie diesmal nicht mit ins Projekt holen!“
Susanne war Unternehmensberaterin. Ihre sparsame Mimik unter der fettigen Maske
wurde kontrastiert von heftigen Handbewegungen. Das Glas klirrte, als sie den
Tiegel zurück ins Regal donnerte. Verwundert sah er seine Frau an.
„Was ist?“ Ihre Stimme klang gereizt. „Alles in Ordnung.“

31
    „Die beiden haben wasserdichte Alibis.“ Kranich war der
Unmut darüber anzumerken. „Kai Lechowki ist Croupier in der Spielbank am
Potsdamer Platz. Zur Tatzeit hatte er Dienst bis 3 Uhr morgens. Mehrere Leute
haben das bestätigt.“ Sie lehnte sich auf dem Stuhl zurück. „Philipp Kron war
zur Tatzeit in einem Kochkurs und danach noch bis 2 Uhr auf einer“ - Kranich
studierte ihre Notizen: „auf einer CD-Release-Party. Auch dafür gibt es mehrere
Zeugen.“
Sie lehnte sich auf dem Stuhl soweit zurück, dass sich die Plastikschale
durchbog. „Bleibt also noch die Chinesin. Sie haben wir nicht mehr angetroffen,
sie muss kurz davor das Café verlassen haben. Eine Adresse hat niemand, aber
sie sei Stammkundin.“
„Und außer den Dreien war niemand im Café?“, fragte Leonhard überrascht.
„Morgens sei da noch nicht soviel los“, sagte Kranich. „Die Bedienung kann sich
an niemanden sonst erinnern.“
„Aber eine Frau als Täterin?“ Leonhard schüttelte den Kopf.
„Warum nicht?“ Hagen drehte an dem Ring an seinem kleinen Finger. „Warum hat
unser Täter die Opfer sexuell denn nicht missbraucht? Warum fand keine Penetration
statt?“
Es war eine rhetorische Frage.
„Weil der Täter seine Opfer nicht penetrieren konnte. Weil der Täter eine Täterin
war!“ sprach Hagen es aus.
Alle dachten nach.
Clara hatte ihre Füße hochgelegt. Das würde zumindest erklären, warum es zu
diesem untypischen Gewaltmuster kam.
„Angenommen“, hörte sie Hagen wieder, „unsere Chinesin hat sich vor zehn Jahren
an dem Elite-Gymnasium beworben. Als Klavierspielerin. Alle Asiaten spielen
doch Klavier. Doch Helga Kramer lehnt sie ab!“ Er schnalzte mit den Fingern.
„Das Mädchen schafft es nicht, die Frustration zu verarbeiten, der Hass gärt.
Jahre später rächt sie sich an Helga Kramer. Dabei hat sie Blut geleckt. Sie
sieht rot. Zwei Monate später bringt sie wieder

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