Auserwaehlt
noch mal Kriminologie studiert habe?“
David nahm eine Handvoll Erdnüsse.
„Ich möchte das verstehen. Es macht mich wahnsinnig, weil ich es einfach nicht
verstehe!“ Clara schüttelte den Kopf. „Was muss alles passieren, dass ein
Mensch einen anderen umbringt?“
„Aber ich sehe die Täter und erhalte keine Antwort“, sagte sie.
„Seit zwei Jahren sehe ich in die Gesichter der Täter und erhalte keine Antwort!“
Clara nahm einen Schluck Bier. Ihre Augen waren hart.
„Das habe ich damals schon nicht verstanden.“ Auch David nahm einen Schluck
Bier. Er starrte auf ihr Kleid. „Nach was suchst du? Was meinst du, zu
entdecken? Das Böse wird dich immer enttäuschen.“
Clara hörte, wie er die Erdnüsse zermalmte.
„Die Täter, denen ich begegnet bin – und ich mache den Job jetzt über zwanzig
Jahre –, waren bei Gott alles andere als faszinierend. Das Böse ist banal.“
Starrte er auf ihren Bauch? „Aber sag mal, wie geht es Nina?“, fragte sie schnell.
Nina? Warum fragst du das? David blickte auf den Boden. „Sie soll ja jetzt aufs Gymnasium kommen, doch
dafür bräuchte sie noch mindestens eine Zwei in Deutsch und das ist noch nicht
sicher, ob das klappt. Ich weiß auch nicht, was da das Beste ist, seit der
Schulreform im letzten Jahr soll ja alles einfacher geworden sein, aber ...“
Er streifte ihren Blick nur kurz.
„Aber ich meine, diese Integrierte Sekundarstufe, in der sie jetzt Haupt-,
Real- und Gesamtschule zusammengefasst haben, das ist doch der reinste Hexenkessel.
Jeden Tag fahre ich durch Neukölln und denke, das möchte ich meiner Tochter
nicht antun.“
David hatte vor drei Jahren die Leitung der Polizeidirektion 5 übernommen, die
für Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln zuständig war.
„Monika hat jetzt einen Nachhilfelehrer engagiert und mal sehen. Aber selbst
wenn das klappt mit der Zwei, manchmal habe ich Angst, dass der Druck auf dem
Gymnasium dann doch zu hoch wird. Nina scheint mir nicht so der Lerntyp. Sie
macht gerne Sport und ist viel unterwegs und so. Und dann fragst du dich, was
ist besser für dein Kind? Ein schwieriges soziales Umfeld oder der
Leistungsdruck, an dem sie zerbrechen kann? Okay, sie ist kein Kind mehr, sie
ist längst in der Pubertät und das Komische ist, seitdem sucht sie die Nähe zu
mir viel mehr als zu ihrer Mutter.“
Sie schwiegen. Er sah sie an.
Nina, Monika. Clara gab der Bedienung ein Zeichen, sie solle ihr ein zweites Bier
bringen.
„Auch noch eins?“
„Lass nur“, er winkte ab. „Ich habe noch Dienst.“
„Heute?“ Clara war enttäuscht. Eine bleierne Müdigkeit breitete sich plötzlich
in ihr aus.
Das Pärchen am Nebentisch brach auf, Arm in Arm gingen sie davon. Auch David blickte
ihnen hinterher.
„Clara, ich meine es Ernst“, sagte er jetzt und nahm ihre Hand.
„Was?“, fragte sie, obwohl sie es wusste.
„Das ... mit uns. Gib uns eine Chance.“
„Und Nina?“ Sie wollte ihre Hand in seiner liegen lassen, doch sie zog sie weg.
„Du hast mir doch gerade lang und breit erklärt, wie wichtig ein Vater jetzt
für sie ist.“
„Wie stellst du dir das denn vor?“ Die Worte kamen einfach so aus ihr heraus,
schnell und hart.
„Wir haben es schon einmal vermasselt, David, weißt du nicht mehr?“ Sie wollte
seine Hand halten. „Ich will jetzt niemandem die Schuld dafür geben, doch wir
sind erwachsen und es wäre gut, wenn wir uns auch so verhalten.“
Sag es ihm doch einfach! „Wir sind einfach zu verschieden, David.“
Clara sah ihn an. Er sagte nichts. Er widersprach ihr nicht. In seinen Augen
flackerte das Teelicht auf und eine tiefe, ehrliche Verzweiflung. Warum widersprach
er nicht einfach? David war so leicht lenkbar. Er ließ sich von ihr auf ein
Gelände führen, in dem es keinen Ausweg mehr zu geben schien. Dabei wäre alles
so einfach.
Clara wusste, wie einfach es war. Doch sie schaffte es einfach nicht, umzuschwenken.
Manchmal hasste sie sich selbst.
36
„Okay, okay, er hat gestanden.“ Es knackte, als Kranich den
Plastikbecher zusammenknüllte. „Natürlich hätte er am Ende auch gestanden,
seine Großmutter gefressen zu haben! Der Typ ist ja aufgeblüht wie eine
Stinkmorchel! Und dieses verdammte Grinsen, ich könnte kotzen, wenn ich es
sehe.“
Clara nickte. Tim Ellenkamp hatte sein Geständnis in den letzten beiden Tagen
viermal wiederholt, jedes Mal überzeugender und wortreicher als beim letzten
Mal. Sein Foto war in allen Zeitungen. Auf der Titelseite. „Der Auserwählte“,
stand darüber. Die
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