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Auserwaehlt

Auserwaehlt

Titel: Auserwaehlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Nowak
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normal. Seine Unruhe hatte jetzt auch Clara
erfasst.
Hagen klingelte Sturm. Clara presste ihr Gesicht gegen das kleine Stück
Milchglas.
Drinnen bewegte sich nichts. Die Garagentür war verschlossen.
„Ich verstehe das nicht.“ Clara steckte ihr Handy wieder ein.
„Margot?“, schrie Hagen. Seine Fäuste trommelten gegen die Haustür.
Clara ging vor der Garage auf und ab und suchte nach einem Hinweis, ob das Auto
noch da war. Sie legte sich auf die Straße, um unter dem Tor durchzusehen. Der
Asphalt war heiß. Kleine Steinchen drückten sich in ihre Handflächen.
Sie konnte nichts erkennen.
Nirgends war eine Öffnung. Rechts und links des Hauses zog sich eine betonierte
Mauer bis zum Nachbargrundstück. Die Haustür war massiv. Das Schloss ein
hochwertiges Sicherheitsschloss. Man würde mehrere Schüsse brauchen, um
hineinzukommen.
„Wir können es über den Garten probieren“, sagte Clara und zeigte die Straße
hinab. „Von der Kanalseite aus führt ein kleiner Weg hoch.“
Im Laufschritt hetzte Hagen die Straße hinab. Clara hatte Mühe, ihm zu folgen.
„Das da“, rief sie außer Atem, nachdem sie auf der anderen Seite wieder hochgerannt
waren. Hagen bekam das kleine Gartentor nicht sofort auf und sprang einfach
darüber. Clara öffnete es problemlos. Ein schmaler, grasbewachsener Trampelpfad
schlängelte sich durch die anliegenden Grundstücke. Rechts und links wurde er
von Hecken begrenzt. „Hier“, sagte Clara. Der Zugang zu Kranichs Garten war
kein offizieller, doch den abgeknickten Büschen war deutlich anzusehen, dass
Margot diese Abkürzung zum Kanal regelmäßig nahm.
Clara fluchte. Ein Ast ritzte ihre Wade auf. Sie hörte ein unangenehmes Geräusch.
Sie hoffte nur, dass das nicht der Saum ihres Kleides gewesen war. Es war eines
ihrer Lieblingskleider. Ein kleines Stück schwarzer Spitze lugte unter einem
ansonsten schlichten, dunkelroten Stoff hervor. Sie hätte Jeans anziehen
sollen.
Vor ihr lag Margots Garten. Hagen stand bereits auf der Terrasse. Er blickte
durch die Fensterfront ins Innere.
„Nein!“, schrie sie.
Hagen hob seine Waffe nach oben und schlug zu. Das Glas klirrte.
„Was ...?“
Clara rannte los. Das Fenster war der Länge nach zersplittert. Drinnen kniete
Hagen auf dem Boden und brüllte. Jemand lag auf dem Sofa.
„Was ist ...?“
Hagen drehte seinen Kopf zu ihr um. Ganz langsam. Sein Gesicht war verzerrt. Es
sah aus, als habe es jemand in Dreiecke zerlegt und falsch zusammengesetzt.
„Margot“, schrie er.
Margot? Warum, was war ...? Clara wollte durch das zerbrochene Fenster steigen, doch plötzlich verdüsterte
sich der Himmel. Nur einzelne Punkte leuchteten noch. Die Glühwürmchen tanzten.
Dann war alles schwarz. Mit einem dumpfen Knall schlug Clara auf den
Holzplanken auf.

41
    Hauptkommissar Thilmann Reichenbaum versuchte, Ruhe zu
bewahren. Es war die Ruhe im Innern eines Tornados. Alles um ihn herum drehte
sich: Die Spurensicherung, die Sanitäter, Polizeipsychologen, Rechtsmediziner,
ganz zu schweigen von seinen eigenen Mitarbeitern, alle fragten sie ihn, was zu
tun sei. Sein Handy klingelte unaufhörlich.
„Ja verdammt“, schnauzte er, „ich schaffe es einfach nicht!“ Er glaubte, den
Namen seiner Frau auf dem Display gelesen zu haben. Seine Tochter hatte heute
eine Märchenaufführung im Kindergarten. Sie spielte die schöne Müllertochter im
Rumpelstilzchen. Stroh zu Gold, Stroh zu Gold, war alles, was er in den letzten
Tagen von ihr gehört hatte.
Reichenbaum entschuldigte sich, als Ursula von Lehndorff wissen wollte, was es
Neues gab. „Noch nichts“, murmelte er und spähte durch das schmale Fenster
hinaus auf die Straße.
Die Presse war längst da. Fünf Autos und ein Dutzend Leute standen auf der
Straße. Ihre Zahl wuchs stündlich an. Wie die Haie stürzten sie sich auf jeden,
der das Haus verließ; auch von ihm würde nachher ein Interview erwartet werden.
Reichenbaum hätte es vorgezogen, „aus ermittlungstaktischen Gründen“ zu
schweigen, „keine Pressekonferenz, keine näheren Angaben“, doch Ursula von Lehndorff
hatte ihm eben unmissverständlich deutlich gemacht, sie würden in die Offensive
gehen. Natürlich, murmelte er, doch die Leitung war längst tot. Draußen fuhr
ein weißer Kastenwagen vor, zwei Männer stiegen aus, ein kleiner Stemmiger trug
eine Kamera auf der Schulter, der andere hielt ein Mikrofon von der Größe eines
Baseballschlägers. Was sollte er antworten? Er hatte keine Antworten.
Der Wagen der Gerichtsmedizin fuhr vor.

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