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Auserwaehlt

Auserwaehlt

Titel: Auserwaehlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Nowak
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Reichenbaum Clara die Hand zum Abschied. Bei
Hagen beließ er es mit einem Kopfnicken. Bis dann, wiederholte er leise und
machte sich auf den Weg. Vor zehn Jahren war seine Partnerin nach Dienstschluss
auf offener Straße vergewaltigt worden. Eine Woche später hatte sie sich das
Leben genommen. Von dem Täter fehlte bis heute jede Spur. Damals hatte er das
ganz gut weggesteckt, doch er wusste, dass er zusammenbrechen würde, wenn es
soweit war.

42
    „Ludwig!“ Ein hohes Krächzen folgte. „Das ist doch der
Mann!“
Hagen van Velzen drehte sich um. Ein verschrumpeltes Ehepaar saß auf den
Plastikstühlen im Gang. Die Frau zeigte auf ihn.
„Das ist er“, beharrte sie und stieß ihren Ellenbogen in die Seite des Mannes.
„Ludwig!“
Die beiden zogen die Köpfe ein, als Hagen stehen blieb.
„Fräulein!“, kreischte die Frau. „Hallo, Fräulein!“
Die Dame mit den weißen Haaren war spindeldürr, ihr Zeigefinger lang und
knochig. Sie richtete ihn noch immer auf Hagen, als Wilma Hellström im Türrahmen
erschien. Verwundert blickte sie zwischen dem Ehepaar und ihrem Kollegen hin
und her.
„Fräulein“, ihr Zeigefinger hüpfte vor Aufregung. „Das ist der Mann!“
„Wie meinen Sie das, das ist der Mann?“ wiederholte Wilma Hellström ungläubig.
„Na der Mann, den sie suchen“, ereiferte sich die Frau und bohrte den Ellenbogen
tiefer in die Seite ihres Mannes, damit er auch etwas sagen möge. „Der Mann,
der Frau Kranich umgebracht hat.“
Erschrocken wich die alte Dame zurück, als Hagen einen Schritt auf sie zutat.
„Nun unternehmen Sie doch etwas!“ stieß der Mann brüsk hervor. Die blonde
Beamtin war ihm schon vorhin nicht kompetent erschienen.
Wilma Hellström starrte das Ehepaar Kaminski mit offenem Mund an. Dann
richteten sich ihre hellblauen Augen, in denen die Sonne Skandinaviens schien,
fragend auf den gutaussehenden Profiler. Hagen kannte Wilma von der
polizeiinternen Laufgruppe. Wenn er sich nicht täuschte, war sie schon lange
hinter ihm her.
„Ach jetzt verstehe ich.“ Hagen lachte dreimal. „Sie sind das Ehepaar Kaminski,
habe ich recht?“
Herr Kaminski nickte. Der Mann mit der Krawatte machte eigentlich einen ganz
guten Eindruck. Plötzlich war er sich nicht mehr sicher, ob er es tatsächlich
war.
„Das ist der Mann“, wiederholte die Frau stur. „Sehen Sie doch, der Ring!“
Die Beamtin starrte auf auf Hagens rechten Ringfinger. Ein silberner Ring mit
einem dunklen Stein. Tatsächlich hatte Frau Kaminski den Ring vor einer halben
Stunde präzise beschrieben. Von der Form eines Auges, hatte sie gesagt.
„Das ist ein Missverständnis“, Hagens Stimme blieb ruhig. Der Stein sah aus wie
ein Auge. „Ich war gestern Abend dienstlich bei Frau Kranich, das ist auch
längst protokolliert. Wenn ich gewusst hätte, dass Sie mich gesehen haben, dann
hätten wir ihnen den Weg aufs Revier ersparen können. Es tut mir leid.“
Er hob entschuldigend die Hände.
„Aber danach haben sie niemanden mehr gesehen?“, fuhr er fort. „Überlegen Sie
noch mal, das ist wichtig. Vielleicht haben sie etwas gehört? Nachdem ich fort
fort war, fuhr da ein Auto die Straße entlang?“
„Danach habe ich nichts mehr gehört“, sagte Herr Kaminski. In seiner Stimme
schwang der Bankdirektor nach, der er einmal gewesen war. „Ulla du?“
Die Frau schüttelte trotzig den Kopf. Sie schien enttäuscht.
„Und du sagst, das ist schon protokolliert?“ Wilma räusperte sich, als Hagen
seine Hand auf ihren Arm legte. Er nickte.
„Aber was machen die beiden überhaupt hier?“ Hagen sprach leise, doch laut
genug, dass die Kaminskis ihn hören konnten. „Das ist der Sicherheitsbereich,
Zeugen haben hier doch nichts zu suchen.“
„Eine Ausnahme.“ Zwei rote Flecken erschienen auf Wilmas Hals.
Das ältere Paar sah sich schuldbewusst an. Herr Kaminski hatte gebeten, hier
warten zu dürfen, weil er vor einem Monat an der Hüfte operiert worden war.
„Ich wollte nur schnell das Phantombild ...“, Wilma sah Hagen an. „Aber das
brauchen wir jetzt ja nicht mehr.“
„Um zehn kamen wir von der Staatsoper nach Hause, die sind ja jetzt im Westen,
solange der Umbau ist, da wo früher das Schillertheater war, also wir haben
Tosca gesehen, eine wirklich gelungene Aufführung, und da stand dieser Mann vor
der Haustür von Frau Kranich!“
Ihr Mann blickte sie ungehalten an.
„Danach ist mir nichts mehr aufgefallen“, fügte sie hinzu.
„Ich liebe Tosca“, sagte Hagen an die Frau gewandt und blickte auf die

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