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Auserwaehlt

Auserwaehlt

Titel: Auserwaehlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Nowak
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Uhr.
„Ich muss los. Wir können ja mal wieder zusammen laufen gehen“, sagte Hagen und
zwinkerte Wilma zu, bevor er um die nächste Ecke verschwand.

43
    Thilmann Reichenbaum saß zusammen mit seiner Frau und
Tochter am Ende eines langen Tisches, der für zwölf Personen ausgelegt war, und
musste sich zwingen, etwas von dem zu essen, was seine Frau ihm auftat. Der
Himmel über dem Lietzensee hatte eine künstliche, rote Farbe, die sich in den
Gläsern und silbernen Amphoren im Esszimmer spiegelte. Mit seinem Gehalt hätten
sie sich die riesige Wohnung in einer der teuersten Wohngegenden Berlins nicht
leisten können, doch seine Frau Alexandra hatte die Wohnung von ihren Eltern
geerbt und mit in die Ehe eingebracht. Reichenbaum wurde von seinen Kollegen um
den Ausblick und die geschmackvolle Inneneinrichtung seiner Wohnung beneidet,
in der er sich manchmal wie in einem Museum fühlte.
„Papi?“
„Was ist denn?“
Er musste sich zwingen, der Konversation mit seiner Tochter zu folgen.
„Oma hat mir einen Drachen geschenkt und sie sagt, er könne fliegen.“
„Wirklich? Das ist ja toll.“
Er war nur kurz nach Hause gekommen, um sich umzuziehen und musste gleich
wieder los ins Büro. Lustlos nahm er ein Stück von dem gedünsteten Fisch und
fragte sich, warum seine Frau ihn so ansah. Dann fiel es ihm wieder ein.
„Wie war denn die Aufführung, Schatz?“
Seine Tochter machte eine Schnute.
„Nicht gut?“
„Fabio ist auf das Feuer getreten, aber Frau Kastrop meinte, das würde niemand
merken.“ Sie sah ihn an.
„Die Lagerfeuerkulisse war leicht lädiert, aber das hat wirklich nicht
gestört“, sagte seine Frau an das Kind gewandt. „Du warst toll, Schatz. Alle
haben geklatscht. Ich bin so stolz auf dich.“
Sie gab dem Kind einen Kuss.
„Ich habe mich zweimal verbeugt“, bestätigte die Kleine.
„Das ist ja toll“, sagte Reichenbaum. Etwas anderes fiel ihm nicht ein.
Neben seinem Teller lag das Handy. Es vibrierte.
„Wilma.“ Er legte die Serviette neben den Teller und erhob sich. „Was gibt’s
denn?“
„Ich weiß jetzt auch nicht“, hörte er die junge Schwedin. Etwas schien ihr unangenehm.
„Aber ich wollte doch zumindest kurz Bescheid geben.“
„Was gibt’s?“ wiederholte er gereizt. Er ging ans Fenster.
„Ich sollte doch das Phantombild erstellen nach Aussagen der Kaminskis, also
der Nachbarn, die gestern Abend einen Unbekannten am Hause von Frau Kranich
beobachtet hatten.“
„Und?“
„Da kam zufällig Hagen van Velzen vorbei und die Frau“, sie räusperte sich,
„also sie war sich sicher, das Hagen der Mann ist.“
Schweigen.
„Van Velzen erklärte mir, er habe gestern um zehn ein Dienstgespräch mit
Kranich gehabt, deshalb sei er da gewesen. Und er meinte, das sei auch längst
protokolliert.“
Reichenbaum blickte auf den Lietzensee hinaus. Nebel stieg auf, als habe es
vorhin hier geregnet.
„Aber dann habe ich im Protokoll nachgesehen“, sagte Wilma. „Ich meine, es ist
noch unvollständig, vielleicht liegt es daran, ich bin mir fast sicher, dass es
daran liegt.“
Ein einzelner Jogger war noch unterwegs, es schien eine Frau zu sein.
„Ich habe nichts gefunden“, hörte er Hellström wieder. „In den Protokollen ist
nichts vermerkt.“
„Deshalb wollte ich nur kurz Bescheid geben“, sagte sie.
„Wissen Sie Bescheid?“, fragte sie zaghaft.
„Danke für den Anruf. Wir sehen uns morgen.“ Reichenbaum legte auf und drehte
sich zu seiner Frau und Tochter um, die entschuldigenden Worte bereits auf den
Lippen. Doch die beiden lachten und verhielten sich, als sei er schon nicht
mehr da.
„Ich werde mich darum kümmern“, sagte er zu sich selbst.

44
    In der Kaffeeküche war noch Licht, zwei seiner Leute grüßten
flüchtig, als Reichenbaum vorüberging. Im Besprechungsraum unterhielt sich
jemand halblaut, Schritte halten von der Steintreppe herauf, irgendwo knallte
eine Tür. Es war Freitagabend, kurz nach 19 Uhr, doch nach dem Mord an Margot
arbeiteten alle auf Hochtouren. Vor dem Büro seiner Assistentin blieb er stehen.
Die Tür stand offen.
Rebecca saß mit Hagen an dem großen, runden Tisch, auf dem sich die Aktenordner
stapelten.
„Hagen, ich muss mit dir sprechen“, sagte er.
Rebecca musterte ihren Chef. Zwei tiefe, senkrechte Furchen hatten sich auf
seiner Stirn zur Nase hin eingegraben. Hagen stieß den Stuhl um, als er sich
erhob. Rebecca tat, als habe sie nichts bemerkt.
„Hagen.“ In seinem Büro kam Reichenbaum sofort zur Sache. „Wilma Hellström

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