Ausgeblüht: Kriminalroman (Psycho-Krimi) (German Edition)
Faden, an dem sein schäbiges Leben hing, drohte abzureißen, nur weil er Hilfe geholt hatte, ohne das mit dem Hoteldirektor abzusprechen. Durch seinen „blinden Aktionismus“, wie im vorgeworfen wurde, konnte die Katastrophe vor den Gästen nicht verheimlicht werden, und er habe eine Lawine ins Rollen gebracht.
Dabei wollte er nur helfen, dachte im Sinne der Geschäftsführung zu handeln. Stolz war er auf sich gewesen, dass er so schnell und überlegt agierte. „Als Lebensretter würde er gekürt und endlich befördert werden“, dachte er. Aber weit gefehlt. Eine Abmahnung hagelte es von oben, und mit einer Beurlaubung auf unbefristete Zeit verließ er nun das Hotel.
Die Kripo war im ganzen Haus unterwegs und befragte jeden, der sich am Abend und in den frühen Morgenstunden im Restaurant, am Empfang und rund um diese ominöse Suite bewegt hatte. Die Hotelgäste waren unruhig, wie ein Lauffeuer kroch die Hiobsbotschaft durch sämtliche Flure und landete schließlich im Frühstücksraum.
Reihenweise erhoben sie sich, um zu gaffen, ja anders konnte er diese penetrante Neugierde nicht bezeichnen. Eine unendliche Warteschlange bildete sich vor den Aufzügen, die sich voll gestopft wie Jojos hoch und runter bewegten. Fast alle wollten nach oben in den dritten Stock zum Tatort und wurden von den geschäftigen Kripobeamten wieder nach unten geschickt, darunter mischten sich wiederum die nichts ahnenden Neuankömmlinge und Gäste, die einfach nur ein- und auschecken oder frühstücken wollten, was den Transport in den Aufzügen überlastete und Staus an den Notausgängen verursachte.
Durch dieses nervöse Gewimmel quetschten sich der Rettungsdienst, die Feuerwehrleute und die Polizisten, um ihrer Arbeit nachzugehen, wer ihnen im Wege stand, wurde einfach beiseite geschoben, was Empörung und Beschwerden hervorrief. Der Mob belästigte jeden, der eine Hoteluniform trug, um Informationen zu ergattern oder seinen Unmut kundzutun.
Gunter Brecht erschrak, wie konnte er den Begriff „Mob“ in seinem Hirn zulassen? Es war ihm verboten, so zu denken. Der Kunde ist König, so lautete das Gesetz.
Die Rezeption brach regelrecht in sich zusammen, denn ständig mussten die Kollegen neben ihrer üblichen Tätigkeit lästige Fragen beantworten. Auch sie wurden zum Verhör vorgeladen, so dass das Pult kurzzeitig unbesetzt blieb, und das alles in der stark frequentierten An- und Abreisezeit am Morgen.
Die Krönung war aber die Landung des Rettungshubschraubers, direkt auf dem Hotelparkplatz. Der Windzug, den die rotierenden Flügel verursachten, peitschte die letzten Blätter von den Bäumen und riss den Pagen die Hüte vom Kopf, während der Notarzt hastig den aufsetzenden Flugkörper verließ und zum Eingang rannte. Der Motorenlärm war so ohrenbetäubend, dass selbst der ignoranteste Gast stehen blieb, aus dem Fenster starrte oder nach draußen hastete. Wie in einem Hühnerstall ging es zu, das wilde Durcheinander erschwerte die Rettungsaktion des verletzten Mannes, den die Sanitäter wenige Minuten später auf einer Trage durch die Menschenmenge transportierten. Der Hoteldirektor versuchte, das Chaos in den Griff zu bekommen. Fluchend kämpfte er sich vom Tatort zur Rezeption, dann wieder zurück zum Tatort und bekam einen cholerischen Anfall nach dem anderen. Doch auch er konnte den Tornado, der sich in Sekunden ausbreitete, nicht aufhalten. Seine jahrelangen Bemühungen, dieses Hotel zu der ersten Adresse der Stadt zu machen, wurden einfach weggefegt.
Das Hotel lebte von den Geschäftsleuten, von hochkarätigen Empfängen, von Prominenten aus der ganzen Welt. Skandale durfte es nicht geben.
Als Gunter Brecht nach seiner Beurlaubung an den Büroräumen vorbei schlich, schnappte er einen kurzen Dialog zwischen der Managerin und der Pressesprecherin auf. Der Ernst der Lage wurde ihm immer deutlicher. Morgen sollte eine Delegation des Internationalen Olympischen Komitees empfangen werden, falls die Untersuchungen der Polizei nicht in drei Stunden beendet wären und sich der Tatort in Luft auflöse, müsse man dieses hochkarätige Treffen absagen, denn schließlich würden die ersten Gäste bereits heute Nachmittag erwartet. „Tatort in Luft auflösen“, eine absolut unrealistische Forderung, das wusste er. Blutdurchtränkt waren Bett und Teppich. Kein Putzkommando der Welt konnte diesen Schaden beheben, solange die Ermittlungen liefen, und die Herrschaften von der Kripo waren immer noch mit den Untersuchungen
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