Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt
Haus ist zu abgelegen.
Bis dahin hatte Dorothea ihr gesamtes Leben in der Stadt verbracht. Ihr Elternhaus hatte in Bad Cannstatt gestanden, ein muffiges, altmodisches Gebäude direkt an einer stark befahrenen Straße. Als Kind hatte sie nachts Laster gezählt, wenn sie nicht einschlafen konnte. Als Werner um ihre Hand anhielt, stellte sie zur Bedingung, dass sie eines Tages aufs Land ziehen würden, in ein eigenes Haus im Grünen.
Weil es nicht anders ging, waren sie zuerst doch nur in eine Mietwohnung gezogen. Die war zwar ruhiger, aber in einem Haus mit drei Parteien gelegen, umringt von anderen, ähnlichen Häusern. Die Nachbarn schauten ihnen auf den Balkon, man hörte, was nebenan im Fernseher lief, und jede Woche ärgerte man sich, weil die Mülleimer so schnell voll waren und niemand es gewesen sein wollte.
Im Dorf Kontakt zu bekommen war schwieriger als erwartet. Viele der Frauen gingen arbeiten, andere waren schlicht nicht an Kontakten interessiert. Die meisten Leute, die im Ort wohnten, ohne hier geboren zu sein, hatten Freunde und Bekannte anderswo, in anderen, ähnlich abgeschiedenen Dörfern im Grünen. Wenn sie jemanden treffen oder etwas unternehmen wollten, setzten sie sich ins Auto und fuhren fort. In einem vierzig Kilometer entfernt gelegenen Squash-Club Mitglied zu sein, während der örtliche Sportverein sich mangels Mitgliedern auflöste, war nichts Ungewöhnliches.
Der einzig engere Kontakt ergab sich mit Frau Birnbauer, die den kleinen Laden führte. Ausgerechnet. Denn als Dorothea das erste Mal dort etwas kaufte – ein Päckchen Salz –, war ihr die Alte schweigsam und grantig vorgekommen und nicht wie jemand, mit dem man auch nur übers Wetter reden konnte.
Doch in den Wochen darauf ergab es sich immer wieder, dass Dorothea eine Kleinigkeit brauchte, weil sie das Einkaufen auf Vorrat noch nicht so ganz beherrschte. Mal fehlte ein Salat, mal Kaffeesahne, dann ein paar Äpfel für einen Kuchen. Irgendwann kam ihr zu Bewusstsein, dass sie es genoss, in diesem kleinen Laden einzukaufen. Und zwar gerade, weil er klein war. Die Regale waren alt und eng, aber übersichtlich. Dorothea stand nicht wie im großen Supermarkt vor fünfzehn Metern Nudeln aller Sorten, Marken und Arten, sondern musste sich nur überlegen, ob sie Spätzle oder Spiralnudeln wollte, Makkaroni oder Spagetti. Keine zweiundvierzig verschiedenen Sorten Senf, nur scharfer und mittelscharfer. Und einfach nur Salz, keine zwei Dutzend Packungsgrößen, -farben und -varianten.
Die Sachen waren zwar alle ein paar Cent teurer, aber immer von guter Qualität. Und es tat den Nerven gut, hier einzukaufen. Einmal die Runde, und man hatte im Grunde alles, was man brauchte.
Die alte Frau lächelte, als Dorothea ihr das eines Tages einfach sagte. »Ich tu von allem zwei Sorten her – die billigste für die, die sparen müssen, und die beste für die anderen. Mehr Auswahl braucht kein Mensch.«
Von da an redeten sie immer mehr miteinander. Schließlich fragte die Frau, ob sie die sei, die jetzt im Haus am Berg wohne. »Ja«, nickte Dorothea und erfuhr daraufhin die Geschichte ihres Hauses.
Errichtet worden war es in den Zwanzigern, als Ausflugslokal, das damals recht bekannt und beliebt gewesen war. Nach dem Krieg stand es lange leer; zwei Versuche, an die Tradition anzuknüpfen, scheiterten. Mitte der Sechziger kaufte ein berühmter und sehr wohlhabender Architekt das Haus und ließ es radikal umbauen. Vom ursprünglichen Gebäude blieben praktisch nur der Gewölbekeller und ein paar tragende Wände übrig, alles andere wurde neu gestaltet. »Die Frau Anstätter war seine Tochter«, erklärte die Alte. »Sie hat das Haus geerbt. Aber da war sie schon zwanzig; aufgewachsen ist sie nicht hier.«
»Mich hat gewundert, dass sie es verkaufen«, gab Dorothea zu.
Die greise Frau Birnbauer hatte genickt. »Ja, seltsam. Es hat geheißen, sie hätten das Geld gebraucht. Aber ihr Mann war Ingenieur, hat gut verdient, sehr gut. Und sie haben ja wieder so ein Anwesen gekauft, sagt man. Also warum?« Sie hatte angefangen, die Dosen im Regal zurechtzurücken. »Sehr seltsam, wirklich.«
Früher war Werner abends fortgegangen, um sich mit Freunden zu treffen. Das tat er nicht mehr, stattdessen lud er sie ein. Anfangs glaubte Dorothea, er tue es ihretwegen, aber als sie sah, wie er diese Abende genoss und wie stolz er war, wenn er »einen auf Schlossherr machen« konnte, wie er es nannte, gab sie diesen Verdacht auf. Werner war wesentlich
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